Adoption: Plötzlich Eltern
Den 9. August 2018 werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Ziemlich genau um 12:00 erhielt ich den Anruf unserer Sozialarbeiterin, die mich mit den bedeutungsvollen Worten “Sitzen Sie eh gut?” begrüßte. Nein, ich saß nicht gut. Ich saß im brütend heißen Auto am Rand einer Landstraße. Ich bat sie um einen Moment, um auszusteigen und mich an den Straßenrand zu setzen, denn obwohl ich es noch nicht glauben konnte, hatte ich eine Vermutung, was sie mir mitteilen wollte. “Im Wilhelminenspital wurde ein Kind geboren, das dringend Eltern sucht.”
So beginnt das Familienleben für rund 100 bis 120 Familien jährlich in Österreich. Nach einer oft längeren Wartezeit (in Wien sind es im Schnitt 3 Jahre) geht es schnell, wenn man adoptiert: denn Kinder können erst nach ihrer Geburt zur Adoption freigegeben werden und so müssen die neuen Eltern schnell zur Stelle sein, damit das Baby nicht allzu lange warten muss.
Es sind fast ausschließlich Neugeborene oder sehr kleine Babies, die in Österreich zur Adoption freigegeben werden, wenn sich die Eltern aus verschiedensten Gründen nicht in der Lage sehen, für ihr Kind zu sorgen. Zukünftige Adoptiveltern machen eine Ausbildung, durchlaufen einen längeren Behördenweg und sind anschließend am Jugendamt als adoptionswillig vorgemerkt.
Gibt nun eine Frau ihr Kind zur Adoption frei, dann wird am Jugendamt beratschlagt, welche adoptionswillige Familie am besten zu dem Kind passt. Familiäre Vorgeschichten, ethnische Zugehörigkeit, aber auch eventuelle Wünsche der freigebenden Mutter werden dabei berücksichtigt. Sobald die Wahl auf eine Familie gefallen ist, wird diese telefonisch verständigt – und muss so rasch wie möglich zu ihrem zukünftigen Kind kommen.
Was geschieht nach dem Anruf?
Genau so ging es auch uns: nach dem überraschenden Anruf machten wir uns sofort auf den Weg ins Wilhelminenspital, wo unsere Tochter geboren wurde. Was zieht man eigentlich an, wenn man sein zukünftiges Kind kennenlernt? Es gibt keine Worte, um die Situation zu beschreiben. Jahrelang hat man sich auf diesen Moment vorbereitet. Wir sind durch die Hölle gegangen: Schwangerschaft nach Schwangerschaft, und immer mit dem selben Ergebnis: “Es tut mir leid, aber das Herz Ihres Kindes schlägt nicht mehr.” Nach einer Phase der Verzweiflung trafen wir schließlich die Entscheidung, ein Kind zu adoptieren. Wir absolvierten die Ausbildung, durchliefen den Behördenweg… und warteten. Überraschenderweise dauerte es nur ein Jahr, bis der heiß ersehnte Anruf kam. “Es kommt immer unerwartet und unvorbereitet”, hatte man uns in der Ausbildung gesagt. Wie richtig! Wir waren gerade von einer längeren Reise zurückgekommen und hatten eine Baustelle im Haus begonnen. Noch länger hatten wir nicht mit dem Anruf gerechnet, und so hatten wir auch nichts für ein Baby vorbereitet. “Ich habe ja nicht mal etwas anzuziehen für mein Kind” war mein erster Gedanke, als ich im Taxi auf dem Weg zum Spital saß. Es war tatsächlich genauso gekommen, wie man uns gesagt hatte: ich fühlte mich völlig unvorbereitet und geriet in Panik.
Alle diese Gedanken waren aber wie weggeblasen, als wir vor der Tür der Intermediate Care-Station des Wilhelminenspitals standen und man uns ein kleines, zerdrücktes, dunkelhaariges Baby überreichte. Es ist unmöglich zu beschreiben, was mit einem passiert, während man so plötzlich Mutter wird. Ich habe auf jeden Fall eine Weile gebraucht, um das zu realisieren. Erst, als wir dann nach ein paar Tagen gemeinsamen Spitalsaufenthalts endlich nach Hause durften, wurde es langsam real, dass ich nun ein Baby hatte. Familie und Freunde versorgten uns mit allem, was man braucht, sodass wir am Ende der ersten Woche als Familie eine anschauliche Babyausstattung zur Verfügung hatten.
Muttergefühle nach der Adoption?
„Wie ist das eigentlich, Muttergefühle kann man ja nicht an- oder abschalten..?“ werde ich oft gefragt. Ja, das stimmt. Und gleichzeitig auch nicht. Vom ersten Moment an, in dem ich das kleine Bündel Mensch, das uns da überreicht wurde, sah, wusste ich, dass ich dieses Kind nicht mehr hergeben würde. Sie wirkte so zerbrechlich und der Gedanke, dass sie ganz allein auf der Welt war, hat mir auf der Stelle die Tränen in die Augen getrieben.
Aber die Realisation, dass das jetzt MEIN Kind ist, dass ich MAMA geworden bin – das hat wirklich eine Weile gedauert. Ich glaube, dass man sich einfach fürchtet, sich wieder verabschieden zu müssen, und es daher gar nicht gleich glauben kann. Zu oft musste ich mich schon von einem Baby wieder verabschieden, und beim Gedanken, auch dieses Baby wieder hergeben zu müssen, wurde diese Wunde natürlich wieder aufgerissen. Aber nach und nach dämmerte es, dass wir nun ein Kind haben und eines Tages wachte ich auf und fühlte mich als Mama. Heute ist meine Tochter ein Jahr alt und ich denke nur selten daran, dass sie meine ADOPTIVtochter ist. Sie ist ganz einfach mein Kind und ich kann es mir nur sehr schwer vorstellen, dass meine Gefühle für sie in irgendeiner Weise anders sein sollten, wenn sie aus meinem Bauch geschlüpft wäre.