Ansprüche runterschrauben und das Muttersein genießen
„Das bisschen Haushalt ist doch kein Problem…“, hören Mütter oft. Sind es die Ansprüche an mich selbst oder von anderen, die mir verwehren, die glücklichen Augenblicke zu erleben? Versuche ich allzu oft, es allen recht und richtig zu machen? Ein Gedankenexperiment, wie es anders sein könnte.
„Nur zu Hause, nur Mutter von zwei oder drei kleinen Kindern, das ist doch kein Problem, oder? Ah, du arbeitest also nicht? Du musst wenigstens nicht arbeiten. Obwohl du daheim bist, haben deine Kinder das noch nicht auf der Reihe … ?“
Diese und ähnliche Sätze bekommen junge Mütter, die bei ihren Kindern zu Hause sind, zu hören. Den Müttern, die aufgrund der finanziellen Situation, der Lebensumstände oder einfach, weil sie arbeiten wollen, ihren Beruf ausüben, geht es jedoch nicht wesentlich besser, die Sätze sind nur leicht unterschiedlich.
„Kein Wunder, dass sich deine Kinder so benehmen, du bist ja nie da. Man muss vielleicht überlegen, wo man Prioritäten setzen sollte! Glaubst du wirklich, dass das gut ist für die Familie, wenn du arbeitest?“
Immer an der Grenze der Belastbarkeit
In der Zwischenzeit bin ich 53 Jahre alt, habe vier erwachsene Kinder, fast fünf Enkelkinder und eine Beratungspraxis, in die auch viele junge Eltern kommen. Das heißt, auf dieses Thema bin ich im eigenen Leben, als meine Kinder noch klein waren, immer wieder gestoßen worden, aber auch die Erfahrung mit meinen erwachsenen Kindern und aus der Beratungspraxis zeigen mir, dass dieses Thema nicht an Aktualität verloren hat.
Wenn sich etwas verändert hat, dann vielleicht, dass die Ansprüche, die junge Mütter an sich stellen (oder stellen müssen), noch höher sind, als sie noch vor einigen Jahren waren. Job, Haushalt, Ehe und Kinder müssen perfekt versorgt werden. Man möchte wirklich alles gut machen, die Kinder sollen auf keinen Fall unter etwas leiden, nichts vermissen und das resultiert häufig darin, dass man selber auf der Strecke bleibt. Auf Dauer fühlt man sich ausgelaugt und überfordert.
Als Mama ausgelaugt – könnte es auch anders gehen?
Erlaubt mir ein Gedankenexperiment. Was wäre, wenn es wirklich hauptsächlich unsere Ansprüche und die der anderen sind, die uns als Müttern – jung oder alt – das Leben schwer machen? Das Leben ist, auch ohne den Anspruch, allem und jedem gerecht zu werden, herausfordernd genug.
Darf ich euch einladen, kurz innezuhalten und folgendem Gedanken nachzuspüren?
Wie wäre mein Leben, wenn ich, nur für jetzt, etwas weniger von mir fordern würde, wenn ich meinen Anspruch an mich und mein perfektes Muttersein, etwas herunterdrosseln würde? Wie wäre mein Leben dann?
Wenn ich dieser Einladung – und sei es auch nur für einen Moment und in Gedanken – gefolgt bin, merke ich vielleicht eine gewisse Erleichterung. Vielleicht wird mir auch bewusst, wie sehr ich in alle Ansprüche in mir und um mich herum auch verstrickt bin.
Moment für Moment mit den Kindern genießen
Das könnte konkret heißen, dass ich lernen darf, den Moment mit meinen Kindern zu genießen. Und ich meine DEN MOMENT – ich rede nicht von: „Ach, genieße die Zeit, solange sie noch klein sind.“ Auch „Carpe Diem – nütze den Tag“ ist ein viel zu hoher Anspruch. Tage mit kleinen Kindern sind nicht immer, aber meistens, unglaublich anstrengend und man zählt oft nur die Minuten, bis sie endlich im Bett sind und man vielleicht, sollten sie im Bett bleiben, eine kurze Verschnaufpause hat, bevor man mehr oder weniger bewusstlos im eigenen Bett zusammenbricht, das vielleicht auch schon wieder von den kleinen Mitbewohnern besetzt ist.
Aber an jedem dieser Tage (oder an fast jedem, lasst uns realistisch bleiben) gibt es Momente, die man um nichts in der Welt missen möchte, die in Erinnerung rufen, warum ich mir das alles antue. Zumindest wenn sie schlafen, sehen sie aus wie kleine Engel und untertags ist die Begeisterung, mit der sie die Welt entdecken, ansteckend, oder das Lächeln, das sich (manchmal) auf den kleinen Gesichtern ausbreitet, wenn man sich ihnen zuwendet. All das sind Momente, die wir genießen können.
Das Leben findet nur JETZT statt
Und viele dieser Momente in unserem herausfordernden Leben tragen zu unserem Glück bei. Es sind Augenblicke, die unter Umständen ungehört und ungesehen an uns vorbeiziehen, wenn unser Anspruch zu hoch ist und wir zu sehr damit beschäftig sind, es allen recht zu machen oder alles richtig zu machen. Heute wie damals ist das auch meine Herausforderung.
Meine Tochter lebt mit ihrem Mann und ihren bald drei Kindern in einer Wohnung bei uns im Haus und ich sehe meine Enkelkinder fast täglich. Das ist schön UND es zeigt mir immer wieder auf, wie groß mein Entwicklungsspielraum in puncto Gelassenheit, den Moment zu genießen und innere Ansprüche loszulassen nach oben noch ist.
Ich glaube, unser aller Herausforderung ist es, uns auf den Moment einzulassen, anstatt darauf zu achten, was sein sollte, was unerledigt ist oder was schwierig ist.
Diese inneren Antreiber machen unser Leben miserabel. Stattdessen wäre es eine Möglichkeit, dem JETZT mit wachen Augen zu begegnen, um die Perlen im Alltag zu finden und das im Auge zu behalten, was gut läuft, worüber wir uns freuen können. Und vielleicht können wir uns selbst und auch einander im positivsten Sinn des Wortes „erwischen“, wie wir Dinge richtig machen und uns so gegenseitig helfen, das Gute im Auge zu behalten und was bereits funktioniert, anstatt das zu fokussieren, was sein sollte.
Was ist gerade das Wichtigste?
Abschließen möchte ich mit einem sinngemäßen Auszug eines Gedichtes, das über viele Jahre in meiner Küche hing. Ich weiß nicht mehr, wer es geschrieben hat, aber ich weiß, ich habe dieses Gedicht immer und immer wieder gelesen, um mich daran zu erinnern, was wirklich zählt …
„Jetzt ist es Zeit, vieles noch zu tun, in Pfützen zu steigen, den Schmetterling zu bewundern und in der Wiese nach Regenwürmern zu suchen, später wird noch genug Zeit sein, den Flur mit der schönen grünen Farbe zu streichen, den Kasten zu sortieren und das Wohnzimmer zu renovieren. Später – wenn er nicht mehr vier ist.“