Das Kind (endgültig?) loslassen lernen
Als Elternteil kennt man es: Früher oder später fährt ein Kind bzw. eine Jugendliche entweder mehrere Tage auf Skiwoche oder auf Wienwoche. Jedenfalls ein guter Anlass um loslassen zu lernen.
Ein Phänomen ist dabei interessant: Normalerweise darf man ja als Elternteil bei unserer Tochter (fast 15) nicht mehr in der Nähe der Schule aufkreuzen. Jede Begegnung in diesem Umfeld oder zufällig in der Stadt ist bereits seit einiger Zeit „peinlich“ und tendenziell eher unerwünscht bis strikt abgelehnt.
Am heutigen Tag, als ich unsere Tochter zum Bahnhof brachte, wo es schließlich weiter nach Wien ging, war es anders. Sie wirkte plötzlich etwas verunsichert, zumindest aber aufgeregt und nervös. Ihre Freundinnen waren noch nicht da, die Jugendlichen, die bereits da waren, kannte sie wenig bis gar nicht.
Das war dann auch der Zeitpunkt, an dem ich doch „mittdurfte“ und meine Anwesenheit sogar erwünscht bis notwendig war.
Wenig später, als ihre Freundinnen ankamen, war es schon anders. Ich war zwar nicht Luft, aber dann doch in gewisser Weise ersetzt. Dennoch bekam ich zum Abschied noch einen „Drücker“.
Was ich daraus lernen: Es gibt ein immerwährendes Spiel aus Nähe und Distanz. Und deshalb trifft die Aussage eigentlich gar nicht wirklich zu, dass ich meine Kinder ab einem gewissen Alter „loslassen“ müsse. Es geht vielmehr um das Gespür. Um die richtige Wahrnehmung, wann Nähe und wann Distanz angemessen ist. Das verändert sich über die Jahre.
Denn auch die Beziehung verändert sich, die in dieser Beziehung involvierten Personen ohnehin und natürlich auch deren Lebensphasen.
Wie reagiere ich als Vater also richtig, bezogen auf diese ganz konkrete Situation, also auf die Wienreise und die damit verbundene Abwesenheit? Ganz klar mit der Erkenntnis, dass sie hier ihre Freiheiten und ihre Freiräume braucht. Sie wird, wie es auch schon am Bahnhof signalisiert hatte, nach Nähe und Distanz fragen. Sie wird von sich aus, etwa wenn sie Bilder schickt oder anruft, signalisieren, dass sie uns vermisst, unseren Rat braucht oder „nur“ etwas Wichtiges mit uns teilen möchte.
Bis dahin werde ich bzw. wir ihre alle Freiheiten der Welt lassen. Sie einfach sein lassen.
Mit ihren Freundinnen, ihren Kontakten, mit der aufregenden Stadt, die sie lediglich von ein paar gemeinsamen Aufenthalten dort kennt. Das was hier gerade passiert ist nämlich vor allem auch eines: Erwachsenwerden. Dazu braucht sie uns. Aber halt anders als früher.