Die Vater-Kind-Beziehung ist anders: Verständnis für Gefühle zeigen
Die Beziehung des Kindes zur Mutter kann in den ersten Jahren intensiver sein, doch der Vater darf keine Vorwürfe machen, sondern Verständnis für die Gefühle haben.
„Bin ich denn gar niemand?“, fragt der Papa, als seine dreijährige Katja bei Mamas Abschied weint und er den Abend allein mit seiner Tochter verbringen soll. Katja antwortet nicht auf diese Frage, sondern vergräbt ihr Gesicht in Mamas Schoß, bis diese sich sanft loslöst und sagt: „Gute Nacht Katja, ich muss jetzt gehen. Ich wünsche dir einen schönen Abend mit Papa und eine gute Nacht! Morgen früh, wenn du aufwachst, bin ich wieder bei dir.“
Emotionale Zwickmühlen vermeiden
Der Vater ist traurig, weil er sich genauso viel Zuwendung und Zuneigung von seiner Tochter wünscht wie seine Gattin. Seine Gefühle sind verständlich, doch seine Formulierung ist problematisch. Das Kind ist damit überfordert. Wie soll es darauf antworten? Was auch immer Katja sagt, die Antwort ist falsch. Sie spürt die emotionale Zwickmühle und antwortet gar nicht. Der Vater ist enttäuscht, macht ihr womöglich noch Vorwürfe. Auf solche Weise kann der Grundstein für eine problematische Vater-Kind-Beziehung gelegt werden. Denn mit dem Satz „Bin ich denn gar niemand?“ überträgt der Vater, ohne es zu beabsichtigen, die Verantwortung für seine eigenen Gefühle an seine Tochter. Er erzeugt Schuldgefühle und Ambivalenzen. Auch ein Erwachsener wüsste kaum, wie auf diese Frage konstruktiv zu reagieren sei. Die Verantwortung für unsere Gefühle tragen wir immer selber. Sie auf diese Weise jemand anderem überzustülpen ist ein manipulierender Vorgang.
Nicht der direkte, sondern der indirekte Ausdruck der Gefühle überfordert Kinder
Sollen wir denn überhaupt unsere Gefühle anderen mitteilen, wenn das alles so kompliziert ist? Ist es nicht besser, sich zurückzuhalten und so sparsam wie möglich damit umzugehen? Im Gegenteil:
Die Beziehung wird herzlicher, die Kinder werden fröhlicher und selbstbewusster, wenn Erwachsene mit ihnen offen über ihre Gefühle sprechen können.
Nicht der direkte Ausdruck der Gefühle schadet, sondern der indirekte. Nur leider haben viele Menschen nicht gelernt, ihre Gefühle auszudrücken, weil die eigenen Eltern es damals nicht zuließen. Die Angst, nicht geliebt, bloßgestellt, lächerlich gemacht zu werden, ist bei manchen Menschen tief eingeprägt und verantwortlich für ihren emotionalen Rückzug oder ihre manipulierenden Strategien, deren sie sich meist selbst nicht bewusst sind.
Verständnis für Gefühle zeigen
Zunächst wäre es gut, wenn der Vater einsehen könnte, dass seine Tochter ein Recht darauf hat, ihre Gefühle auszudrücken. Dass der Abschiedsschmerz von der Mutter nicht bedeuten muss, dass sie ihn weniger lieb hat, auch wenn in den ersten Jahren die Mutter-Kind-Beziehung meist die engere und intensivere ist. Keineswegs aber sollte der Vater direkt oder indirekt einen Vorwurf daraus machen. Er könnte Verständnis zeigen und offen um die Zuneigung seiner Tochter werben: „Ich kann verstehen, dass du traurig bist, wenn die Mama geht. Aber ich hab dich doch auch lieb und wir beide können uns einen schönen Abend machen. Was möchtest du denn gerne spielen?“ Er könnte sie einfach auch schweigend und zärtlich in den Arm nehmen, bis sie sich beruhigt hat.