Eigene Grenzen überschreiten und das Gefühl endloser Freiheit

Manche Herausforderungen im Leben lähmen einen, machen einen müde und erschöpft. Aber es gibt auch diese Herausforderungen, die einen wachsen lassen. Solche, die einem das Gefühl von Stärke und Kontrolle geben. Und Macht. Das Gefühl, man hätte alles im Griff und könnte alles schaffen, wenn man nur wollen würde.

Früher habe ich es mir sehr bequem gemacht – in meiner Komfortzone. Dort fühlte ich mich sicher und es war so gemütlich, drinnen zu bleiben. Bis mich eines Tages eine unbegründete Angst immer mehr eingeschränkt hat. Ich – ein Freiheit liebender Mensch – fühlte mich plötzlich so eingegrenzt. Ich musste meine Freiheit wieder erlangen, also machte ich mich auf die Suche nach einem Ausweg und da merkte ich sehr schnell:

Ich muss raus aus meinem sicheren Rahmen und etwas wagen.

Zwischen Angst und Phobie

Ich weiß nicht ganz genau, wann diese Angst so ausgeartet ist. Sie war schon immer da, aber plötzlich schien sie jeden Tag zu wachsen. Meine Angst vor Schlangen. Geerbt und vorgelebt von meiner Mama. Ich bin so naturnah aufgewachsen, wie es einem Kind nur möglich ist und gerade im Erwachsenenalter in der Großstadt Wien ist diese Angst plötzlich mit einer bisher ungekannten Stärke wieder erwacht und hat mir das Leben immer schwerer gemacht.

So schwer, dass ich mitten in der Stadt Angst hatte, Grünflächen zu betreten.

Damals habe ich am Stadtrand gewohnt und tatsächlich immer wieder eine freilebende Schlange irgendwo gesehen. Denn die selektive Wahrnehmung ist trügerisch – hast du Angst vor etwas, ist es plötzlich immer da. Du siehst es überall. So hatte ich Angst meine Lieblingsrunden im Wiener Wald zu drehen, wollte auf der Wiese vor der Votivkirche nicht mehr sitzen und fühlte mich nur auf asphaltierten Flächen sicher. Doch die Freiheitliebe in mir schrie langsam lauter als die Angst selbst.

Der Kampf kann beginnen

So habe ich mir alle möglichen Tipps im Internet rausgesucht, mit einem Therapeuten gesprochen und schließlich mehr und mehr gegen diese Angst gekämpft. Es dauerte Jahre, aber es wurde spürbar besser. So hörte ich auf zu weinen, wenn ich eine Schlange im Wald sah. Ich ging weiter ohne panische Ängste und als ich 13 Jahre später tatsächlich einen Königspython in der Hand hielt und dabei entspannt in die Kamera lächelte, wusste ist, diese Angst ist überwunden.

Heute laufe ich fröhlich durch hohes Gras und gehe entspannt alle Wanderwege entlang. Ja, manchmal meldet sich noch mein Alarmsystem „Achtung, Schlangengebiet“ und ja, auch heute sehe ich jede noch so kleine Schlange, die an mir vorbeizischt. Aber mein Alarmsystem kann ich bereits ganz gut abschalten und jede Schlange wird ganz genau begutachtet und abfotografiert.

Grenzüberschreitend

Als mich neulich ein Freund angeschrieben hat, wie genau ich diese Angst so überwinden konnte, weil seine Frau ein ähnliches Problem hat, habe ich darüber nachgedacht, wie es überhaupt dazu kam und wieso ich nie aufgegeben habe.

Plötzlich sind mir so viele Kleinigkeiten klar geworden, die ich bereits bekämpft oder überwunden habe, weil sie meine persönliche Freiheit eingrenzen wollten.

Bisher nahm ich es als einen Teil von mir an, bis mir klar wurde, dass es gar nicht so selbstverständlich ist. Da ist mir eingefallen, dass ich trotz Höhenangst leidenschaftlich gerne jeden Hochseilklettergarten besuche und so tue, als hätte ich keine Angst. Aber am deutlichsten wurde es mir klar, als ich Anfang Oktober an meinem Geburtstag beschlossen habe, in einem Teich bei uns am Stadtrand schwimmen zu gehen. Trotz Regen und Kälte. Ich hasste nämlich kaltes Wasser und habe seit Jahren gesagt, eines Tages werde ich im Winter eisschwimmen gehen… Und heuer ist es so weit!

Die eigene Komfortzone zu verlassen ist nicht leicht

Manchmal will ich auch lieber in der Ecke, ganz unbemerkt, sitzen bleiben. In meiner gewohnten Umgebung, doch ich habe etwas entdeckt: sich selbst zu überwinden ist ein starkes Gefühl. Ein Gefühl von Grenzenlosigkeit, von innerer Stärke und von Mut. „Wer bremst, verliert,“ war früher mein Lebensmotto. Heute habe ich deutlich entschleunigt und lebe lieber nach dem Motto „geht nicht gibt’s nicht.“

Oder wie man so schön sagt: „Alle sagten, es geht nicht. Da kam eine, die wusste es nicht und hat es einfach getan.“

Denn wenn mein Kopf schreit, das geht nicht, das ist unangenehm und erfordert ganz viel Überwindung – dann sagt mein Wille „da bin ich dabei!“. 

Warum? Weil ich es kann! Weil ich es will und weil es ein tolles Gefühl ist. Und vielleicht auch, weil dieses Gefühl ein wenig süchtig macht. (So fuhr ich neulich mit dieser Achterbahn im Family Park und dachte anfangs nur, „was mache ich eigentlich hier? Ich habe Angst!“, bis ich es plötzlich richtig genossen habe. Wieder eine Angst weniger, die mich nicht mehr einschränkt!)

Aktuell gehe ich regelmäßig bei einer Wassertemperatur von 14 Grad schwimmen. Das Gefühl ist unbeschreiblich, der Kopf leer, der Körper so frisch, wie noch nie. Dazu habe ich angefangen kalt zu duschen und nur zwei Wochen später hat sich meine Abneigung gegenüber dem kalten Wasser zur wahren Liebe verwandelt. Ich habe kein Problem mehr ins kalte Wasser zu springen. Neulich nach einem Saunagang spazierte ich in das kalte Becken, als wäre es das Natürlichste auf der Welt und dabei dachte ich nur – wie einfach das doch ist. Im Sommer wollte ich nicht ins 23 Grad warme Wasser rein, weil ich es zu kalt fand.

Heute genieße ich die 14 Grad und freue mich, wenn es kälter wird und ich wieder über meine Grenzen gehen kann. Denn das gibt mir das Gefühl endloser Freiheit und Kraft.

Denn der größte Gegner und Kritiker, der uns bremst, sitzt noch immer in unseren Köpfen. Ich habe für mich entschieden, ihm zu sagen: „geht nicht gibt es nicht!“ Und es fühlt sich richtig gut an.

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