„Halte mich fest“- Warum wir Kinder oft in den Arm nehmen und tragen sollten

„Kannst du mich tragen?“, fragen uns oft unsere Kinder und während es in einem bestimmten Alter noch toleriert wird, werden wir mit jedem Jahr unruhiger und unsicherer, ob wir unsere Kinder zu viel verwöhnen, wenn wir sie halten oder herumtragen. Doch das „Gehalten werden wollen“ ist oft nur ein Code für tiefere Wünsche unserer Kinder. Schauen wir uns an, welche Bedürfnisse dahinterstecken könnten.

Ein langer Arbeitstag, eine Verspätung am Heimweg und Stress, ob man es schafft, rechtzeitig im Kindergarten oder in der Schule anzukommen. Völlig verschwitzt kommen wir doch noch pünktlich an und das einzige, wonach wir uns sehnen, ist es, endlich zu Hause zu sein.

Doch da macht uns unser Kind einen Strich durch die Rechnung.

Denn anstatt schnell nach Hause zu düsen, will es nun so gar nicht kooperieren und es will auch noch gehalten und getragen werden. An dieser Stelle werden viele Eltern unruhig, weil sie aus eigener Erschöpfung nur eines sehen: ein verwöhntes Kind.

Doch die Gründe, warum ein Kind getragen werden will, sind sehr vielfältig.

#1. Hilfe bei der Selbstregulation

So wie unser Alltag oft anstrengend und unser Berufsleben anspruchsvoll und stressig ist, so ist der Kindergartentag ebenfalls mit vielen Herausforderungen gefüllt. Hier ist soziale Kompetenz gefragt: Kinder müssen sich anpassen, Spielzeuge teilen, aufmerksam sein, rücksichtsvoll agieren, Regeln folgen… All das sind Dinge, die Kinder erst lernen. Und das macht müde.

Wird man aus dieser Situation – sprich aus dem Kindergarten – endlich rausgeholt, kann man sich erstmals fallen lassen. Kinder sind oft deshalb weinerlich, gereizt und brauchen nur eines – den Halt der Person, die ihnen nah steht. Eine Umarmung wirkt hier stressabbauend und hilft dem Kind sich selbst besser zu regulieren.

#2. Reizüberflutung

Kommt ein Kind in eine Situation, die ihn überfordert, sucht es ebenfalls nach einem starken Halt. Dabei kann diese Situation für uns Erwachsene völlig normal sein, doch für Kinder kann schon eine kleine Familienfeier zur Reizüberflutung führen. Auch positive Erlebnisse, wie der Besuch von einem Erlebnispark, kann schnell zu viel werden.

#3. Krankheit, Unwohlgefühl

Wer kennt das nicht – wenn man sich schlecht fühlt, wünscht man sich Menschen her, die einem nahe stehen. Bei Kindern ist es nicht anders. Manchmal passiert sogar, dass dem Kind auf den ersten Blick nichts fehlt und erst Stunden später die Körpertemperatur steigt und einem bewusst wird, warum das Kind so anhänglich war.

#4. Aufmerksamkeit

Gerade nach einer räumlichen Trennung brauchen Kinder viel Aufmerksamkeit. Hier ist die Augenhöhe ein wichtiger Faktor. Und wann können uns Kinder am besten in die Augen schauen? Richtig! Wenn wir sie im Arm halten. Dabei ist es ratsam, den Kindern beim Zuhören aufmerksam in die Augen zu schauen und das Gesprochene mit eigenen Worten zu wiederholen, damit sich die Kinder wahrgenommen fühlen. Bitte das Handy weglegen!

#5. Neue, unbekannte Situation / Angst

Erlebt ein Kind eine Situation, die neu ist, wird es den Schutz bei den Eltern suchen. Sicher gebundene Kinder verstecken sich gerne im Arm der Nächsten und versuchen dann im eigenen Tempo immer wieder in die neue Situation reinzugehen.

#6. Mehr sehen wollen/ dabei sein wollen

Auch wenn es uns oft nicht bewusst ist – Kinder sehen deutlich weniger von der Welt. Weil sie nun mal kleiner sind als wir. Werden sie hochgehoben, können sie weiter sehen, Mitmenschen in die Augen schauen und mit den Eltern besser kommunizieren.

#7. Nähe, Zuwendung, Liebe

Manchmal versteckt sich nach dem Verlangen in den Arm genommen zu werden ein einfacher Grund: Kinder brauchen Liebe und Zuwendung. Der Beziehungstank soll gefüllt werden. Mit viel Körperkontakt fühlen sie sich geliebt.

#8. Trostsuche

Ist ein Kind traurig, sucht es ebenfalls nach Körperkontakt. Egal ob es sich verletzt hat, oder ihm etwas nicht gelungen ist – wir sollten die Sorgen der Kinder nicht runterspielen und Trost schenken, egal wie banal uns manche Anliegen erscheinen.

 

Fazit

Das Bild eines verwöhnten Kindes verblasst, wenn einem bewusst wird, welche Bedürfnisse hinter dem Gehalten- und Getragenwerden wollen stecken. Deshalb – lieber einmal mehr halten und tragen. Damit kann man nichts falsch machen.

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