Innere Stärke

Die geheime Kraft des persönlichen Glücks

 

Als mich gestern die ersten Frühlingssonnenstrahlen auf meine Terasse lockten, entdeckte ich dieses kleine Pflänzchen, das sich, genau wie ich, dem blauen Himmel entgegen streckte, um die wohltuende Wärme zu tanken. Bei genauerem Betrachten konnte ich noch das Blattskelett eines Ahornflügelchens in der Ritze ausmachen, aus dessen Nuss sich dieses Wunder einen Weg gebahnt hat. Immer wieder staune ich, wenn so winzige und zarte Geschöpfe diese unglaubliche Stärke beweisen, aus engsten Ritzen zu sprießen oder sogar durch Asphalt zu brechen.

„Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft – vielmehr aus einem unbeugsamen Willen“ (Mahatma Ghandi).

Daraus lässt sich auch schließen, dass es nicht darum geht, seine Stärke nach außen zu demonstrieren, sondern innerlich gefestigt zu sein, um sein eigenes Ziel verfolgen zu können.

Doch was ist das Zaubermittel, das uns den Eindruck verschafft, dass wir in unserer Mitte sind, uns nichts aufhalten kann? Dass der Gegenwind noch so stark wehen
kann, die Ritzen, aus denen wir sprießen, noch so eng und steinig sein können und wir dennoch unseren Weg mutigen Schrittes weitergehen?

Fünf essentielle Zutaten konnte ich für mich ausmachen, die dienlich sind, innere Stärke auszubauen:

1. Der Glaube an das Gute in jedem Menschen

Wenn ich davon ausgehe, dass auch Kritik und Vorwürfe mir gegenüber, ein tragischer Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse meines Gegenübers sind und mehr über den anderen aussagen als über mich, habe ich die Gedanken, jemand würde mir schaden wollen, und einen gekränkten Rückzug nicht mehr nötig; stattdessen kann ich mich dem zuwenden, was beim anderen gerade lebendig ist, was dieser Mensch braucht, damit er aus der Angriffsposition heraus kommen kann. Der Blick auf die dahinterstehenden Bedürfnisse zeigt den Weg zu gegenseitigem Verständnis und somit zum Frieden untereinander.
Diesen Weg einzuschlagen, lässt das Gute in jeder Person zutage treten und gleichzeitig das eigene Herz und die eigene Stärke wachsen.

2. Das Übernehmen und gleichzeitge Abgeben von Verantwortung

Hören wir auf, Verantwortung für das zu übernehmen, was nicht unsere Verantwortung ist! Etwa für die Gefühle unserer Mitmenschen. Jedes Mal, wenn wir z.B. ein „schlechtes Gewissen“ haben, übernehmen wir automatisch Verantwortung dafür. Ausdrücke, wie „Ich habe dich enttäuscht, weil ich schon wieder nicht kommen kann“, machen dies deutlich. Ja, die andere Person ist enttäuscht, aber nicht wegen mir, sondern weil deren Bedürfnis nach Verlässlichkeit oder Gemeinschaft in dem Moment unerfüllt ist.
Die Bereitschaft, Verantwortung für die eigenen Handlungen, Gefühle und Bedürfnisse zu übernehmen, anstatt andere dafür verantwortlich zu machen, ist ein wichtiger Aspekt, um in der eigenen Mitte sein zu können. Aussagen, wie „du verletzt mich“ oder „du machst mich so wütend“, gehören damit der Vergangenheit an.

Stattdessen bin ich in Verbindung mit mir selbst und drücke meine Gefühle als Ich-Botschaften aus, z.B. „ich bin verletzt“ oder „ich bin wütend“.

Die andere Person ist vielleicht gerade der Auslöser für meine Gefühle, jedoch nie die Ursache – diese wurzelt stets in den eigenen Bedürfnissen. Und das führt uns auch zum nächsten Punkt …

3. Den Mut, sich verletzlich und schwach zu zeigen

Stark ist, wer den Mut besitzt, eigene Schwächen und Fehler zuzugeben sowie
mitzuteilen, wie es einem geht und was man braucht, damit es einem gut geht. Oft
werden Gefühle, wie Angst oder Scham, hinter Angriffen und Wut verborgen. Es ist
scheinbar leichter, anderen Menschen Vorwürfe zu machen und die Schuldfrage zu
stellen, als zu äußern, dass man selbst besorgt, enttäuscht oder ratlos ist und dringend Unterstützung oder einfach ein offenes Ohr benötigt. Wer jedoch gelernt hat, dies mitzuteilen, wird viel eher gehört und verstanden und bekommt somit auch mit viel höherer Wahrscheinlichkeit, was gebraucht wird. Und zudem baut es echte
Verbundenheit zum Gegenüber auf. Dies stärkt wiederum das Gefühl innerer Stärke und Sicherheit, macht glücklich und zufrieden und erleichtert auch den nächsten Punkt.

4. Das Ablegen des Glaubens, man könnte alles kontrollieren

Der Wunsch nach Kontrolle ist tief verwurzelt in Angst- oder Unsicherheitsgefühlen.
Gedanken daran, etwas zu verlieren, zu versagen oder zuzugeben, eben nicht alles
(perfekt) zu schaffen, führen immer wieder zum Versuch, Situationen oder Mitmenschen zu kontrollieren. Konflikte – mit sich selbst oder anderen – sind dabei fast vorprogrammiert. Zielführender ist die Reflexion, also ein „nach Innen hören“ auf die eigene Befindlichkeit und ein Beschäftigen mit dem, was eigentlich dahinter steckt und zu diesem Verhalten führt.

Trauen wir uns, uns zu den Wurzeln (unseren Gefühlen und Bedürfnissen) durchzugraben!

So können wir auch die Notwendigkeit der Kontrolle ablegen.
Das Akzeptieren von Unperfektionismus, das Willkommenheißen von Fehlern als Quelle für Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten und das Zulassen von Gefühlen, die nicht angenehm sind, jedoch sinnvoll und notwendig, um uns darauf hinzuweisen, dass wir uns um unsere eigenen Bedürfnisse kümmern sollten, macht in weiterer Folge gelassen und frei. Und auch dies führt zum nächsten und letzten Punkt …

5. Die Dankbarkeit

Das Gegenteil der Selbstverständlichkeit ist Dankbarkeit.

Wer sich schon mal ein Körperteil verletzte und erst dann merkte, wie umständlich es wird, ganz alltägliche Dinge verrichten zu können, erkennt, für wie selbstverständlich wir vieles oft nehmen. Ich habe es mir angewöhnt, ein Dankbarkeitstagebuch zu schreiben, in dem ich täglich mindestens eine Sache notiere, für die ich an diesem Tag dankbar bin. Diese Form der Wertschätzung ist trainierbar und ein Schlüssel zu persönlichem Glücksempfinden.

„Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die
Dankbaren, die glücklich sind“

wusste schon Francis Bacon im 16. Jahrhundert.


Zusammenfassend sind der Glaube und das Vertrauen an das Gute im Menschen, die Verbundenheit mit allen Lebenwesen und die Dankbarkeit zentrale Schlüsselfaktoren, um sich selbst stärker zu fühlen und Stärke auszustrahlen. Der
Königsweg dorthin führt über unser Innerstes: denn um sich selbst und andere zu verstehen, braucht es nicht nur den Verstand, sondern vor allem das Herz.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Barbara Rampl

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