Kinder und Jugendliche - Schritt für Schritt - in die Selbstständigkeit entlassen
Es ist schwer: Das Loslassen! Doch nicht für Kindern, sondern vor allem für die Eltern! Gelingt es aber beiden, gibt es so etwas wie Selbständigkeit.
Man muss ein besonders krasses Beispiel wohl gar nicht bemühen, doch ich tue es doch. Man erzählt sich immer mehr von Studentinnen und Studenten, deren Eltern in die Sprechstunde des Professors pilgern, wenn es mal eine schlechte Note gesetzt hat.
In welchem Ausmaß das tatsächlich stattfindet, tut dabei nichts zur Sache. Aber damit ist das beschrieben, was Eltern und auch deren Kinder nicht passieren sollte: Denn dann ist etwas nicht gelungen, was gelingen sollte: Das Loslassen!
Einfach formuliert: Was traut man seinem Kind zu und was nicht? Wie richtet es sich das Kind diesem Verhältnis ein?
Ist es genervt von der elterlichen Einflussnahme, die am liebsten alles im Griff hätte oder ist es womöglich sogar bequem, wenn Mama und Papa alles regeln?
In diesem Spannungsverhältnis spielt sich alles ab und darin muss man auch ansetzen. Es gilt die eigenen Kinder weder zu unterfordern noch zu überfordern. Das ist ein Gratwanderung und braucht gutes Gespür. Und es braucht auf elterlicher Seite durchaus auch Selbstreflexion.
Ist es nicht so, dass mir das Kind quasi entgleitet, wenn ich es in die Selbständigkeit – in welcher Form auch immer – entlasse?
Habe ich Sorge, dass mir der „Zugriff“ auf die Entscheidungen meines Kindes nicht mehr gelingt und dass ich mehr zulassen muss als ich steuern kann oder mitreden darf?
Um noch – ein letztes Mal – auf das Uni-Beispiel zurückzukommen: Hier ist die Art und Weise der Selbständigkeit und Unselbständigkeit aus den Fugen geraten. Hier wurde nicht richtig verhandelt, nicht richtig reflektiert. Beiden Seiten habe sich in ungesunder oder zumindest problematischer Weise eingerichtet: Die Eltern freuen sich, gewissermaßen doch noch Einfluss haben zu können. Das „Kind“ darüber, dass Eltern Dinge erledigen, die ihm selbst unangenehm sind.
Doch auch das ist Selbständigkeit: Sie bedeutet nicht nur Freiheit und Rechte für die jungen Menschen, sondern auch Verpflichtungen. Sie heißt nicht nur, zunehmend länger ausgehen zu dürfen, sie bedeutet auch, sich unangenehmen Situationen zu stellen, Konflikte selbst auszufechten und für sich selbst als autonome Person einzustehen.
Alles andere mag sich für beide Seiten vielleicht richtig anfühlen. Vielleicht ist es sogar ein Gefühl der Behaglichkeit, wenn alles so bleibt, wie es im Kindesalter war. Die Eltern bereiten den Weg, umschiffen Unwegsamkeiten und lösen Probleme für die Kinder. Die Kinder wiederum richten sich dabei in dieser Situation. Diese fühlt sich vielleicht wohlig warm an. Vertraut. Natürlich.
Genau diese "Natürlichkeit" gilt es aber abzuschütteln. Denn so etwas wie eine Natürlichkeit kann es nicht geben. Zumal es diese immer wieder neu auszuhandeln gilt. Das Verhältnis von Eltern und Kindern ist nicht überzeitlich und feststehend.
Was in einem gewissen Alter gut funktioniert hat, kann später das absolut Falsche sein.
Darauf muss ein Blick geworfen werden. Das muss immer wieder gemeinsam eruiert und analysiert werden.
So kann man sich vorantasten. So kann man zu einem gesunden Verhältnis finden. Und so kann man, wie in der Überschrift bereits angedeutet, meiner Meinung nach das Kind Schritt für Schritt in die Selbständigkeit entlassen. Diese versteht sich immer auch in der Abhängigkeit voneinander: Auch Eltern müssen gewissermaßen selbständig werden. Auch Eltern müssen verstehen, dass sich die Zeiten ändern.
Und das muss ja beim besten Willen nichts Negatives sein. Ganz im Gegenteil: Es ist doch schön, das eigene Kind wachsen zu sehen. Als eigenständige Person glänzen zu sehen. Es gilt das um jeden Preis zu forcieren, zu unterstützen und zu fördern. Auch wenn es womöglich für beide Seiten etwas unbequemer und herausfordernder sein mag. Aber das „Ziel“ ist dann wunderbar.