Kleiner Machtkampf im Kinderzimmer - Natalie und der Schokomund

„Erziehung ist (k)ein Kinderspiel!“:  Ob wir wollen oder nicht, Kinder fordern uns immer wieder heraus. Sie wollen nicht tun, was wir von ihnen verlangen, und sei es noch so vernünftig. Schnell landen wir in einem kleinen Machtkampf.

Schauen wir uns dazu ein kleines Beispiel aus dem Kinderzimmer an.

Omas Enkelkinder, dreieinhalb und sechs Jahre alt, werden von ihren Eltern mit sehr viel Zuwendung, Selbstbestimmung und Mitsprache erzogen. Dementsprechend lustig, selbstbewusst und eigenständig sind sie, zur Freude und zum Stolz ihrer Eltern.

Als die Eltern einmal ausgingen, übernahm die Großmutter die Betreuung. Nach dem Abendessen gehen sie wie immer Hände waschen, danach lieben sie es, auf dem Stockbett herumzutoben. Die Oma entdeckt, dass Natalies Mund noch voller Schokolade ist und bittet das Mädchen, nochmals ins Bad zu gehen und den Mund abzuwaschen, damit die Leintücher nicht schmutzig werden. Klein Natalie verweigert, Oma erklärt, versucht zu überreden, dann zu insistieren: „Wenn du den Mund abwäscht, kannst du weiterspielen. Komm, das geht ganz schnell!“ 

Das Kind lächelt, denkt aber nicht daran, Omas Aufforderung nachzukommen.

Oma holt sie vom Bett herunter, doch will sie die Kleine nicht mit Geschrei ins Bad zerren, dazu ist sie ihr auch schon zu schwer. Natalie scheint das Spielchen mit der Oma zu genießen. Oma macht die Tür zum Kinderzimmer hinter sich zu. Bevor nicht getan wird, was sie verlangt, wird nicht weitergespielt. Die eigenwillige Natalie will einfach nicht folgen. Totale Blockade, die in Geschreie umzukippen droht.

Wie wichtig ist es, sich durchzusetzen? Wann ist es wichtig, darauf zu bestehen, dass Kinder folgen?

Einmal tief durchatmen und kurz überlegen

Versetzen Sie sich einmal selbst in die Lage, atmen Sie einmal gut durch und überlegen Sie kurz:

Option 1: Wie wichtig ist der saubere Mund?

Wenn Sie meinen, die Leintücher gehören sowieso bald in die Wäsche, dann machen Sie einen Kompromiss, ausnahmsweise: „Gut, ihr dürft noch 10 Minuten spielen!“

Option 2: Gibt es eine sanfte Lösung?

Oma könnte ein Feuchttuch nehmen und dem Kind einfach den Mund abwischen. Problem gelöst. Die selbstbewusste Natalie, mit dreieinhalb Jahren, würde jedoch lautstark protestieren. Daher muss Oma ankündigen, was sie vorhat: „Wenn du nicht ins Bad gehen willst, muss ich dir den Mund abwischen!“ Ankündigen, warum? Niemand möchte, dass man plötzlich an seinem Mund herumfummelt, und sei es noch so gut gemeint. Auch kleine Kinder sind da schon sehr sensibel.

Option 3: Wenn Sie das Gefühl haben, das Kind nimmt Sie gar nicht ernst, dann geht es ums Prinzip, um Ihre Autorität.

Dann sollten Sie Stärke zeigen. Wenn Sie nachgeben, lernt das Kind, dass sie ihre Oma nicht ernst zu nehmen braucht, werden sich solche Szenen auch bei anderer Gelegenheit wiederholen.

Anstatt hart auf hart: Versuch’s mal mit Humor und Kreativität

Da hat die Oma eine Idee: Sie schaut sich um, ob nicht in ihrer Nähe eine Puppe oder ein Teddybär zu finden sei. Leider nein. Da schnappt sie den nächsten Zierpolster und legt ihn übers Knie.

Zu ihrer Enkelin sagt sie: „Weißt du, was man früher gemacht hat, wenn Kinder nicht folgten? Popschi klopfen!“ Und sie versetzte dem Polster einen Hieb, begleitet von einem imaginären Dialog: „Geh dir den Mund abwaschen!“  „Ich will aber nicht!“ „Was, du willst dir nicht den Mund abwaschen?“ Klopf. „Wirst du jetzt endlich folgen?“ „Nein!“ Klopf, klopf. Oma äfft ein Geplärre nach. Natalie sieht sich diese kleine Pantomime an und muss lachen. Das Eis schmilzt.

Kompromiss in Aussicht

Da macht Natalie der Oma einen Vorschlag: „Ich möchte, dass der Lukas mitkommt!“ Oma ist kompromissbereit: „Ja, frag ihn doch!“ Lukas ist gutmütig. Gemeinsam gehen sie mit Oma ins Badezimmer. „Dann könnt ihr auch gleich Zähneputzen!“ Natalie antwortet: „Ja, Mama!“ Gesagt, getan. In wenigen Minuten sind die Kinder fertig zum Schlafengehen. Die Pyjamas werden angezogen und es gibt, wie immer, eine Gutenachtgeschichte.

Soziale Kompetenz

Es spricht für die soziale Kompetenz der kleinen Natalie, dass sie letztendlich, als sie mit ihrer Verweigerungstaktik keine Aussicht auf Erfolg mehr sieht, Verhandlungen mit Oma aufnimmt, anstatt weiter auf stur zu schalten. Wenn nicht, hätte auch Oma einen Kompromiss vorschlagen können und damit nun mehr Aussicht auf Erfolg gehabt.

Wichtig: Führung behalten, aber auf Gewalt verzichten

Egal welchen Lösungsansatz Sie wählen, oder wie die Situation sich entwickelt, wichtig ist, dass Sie die Führung behalten, dabei aber auf Gewalt verzichten, möglichst auch auf lautes Schimpfen.

Der Abend klingt harmonisch aus. Die Kinder sind müde, gleich schlafen sie ein.

„Ja, Mama!“

Die Oma machte eine interessante Beobachtung.  Einmal, nach einer kleinen Auseinandersetzung, hörte sie Natalie sagen: „Ja, Mama!“ Daraufhin meinte die Großmutter: „Ich bin deine Oma, nicht deine Mama!“ worauf das Kind antwortete: „Aber manchmal möchte ich gerne Mama zu dir sagen“. Dieses brave „Ja, Mama!“ sagte Natalie auch heute Abend, wie zum Zeichen der Versöhnung.

Wie ist das zu verstehen? Kinder testen Grenzen, ganz intuitiv, und dazu gibt es jede Menge Gelegenheit. Sie wollen wissen, wer das Sagen hat. Wenn Erwachsene es verstehen, klare Führung zu zeigen, dann tut es den Kindern gut, dann fühlen Sie sich sicher und geborgen. Dann ist die aufmüpfige Natalie plötzlich ganz sanft und folgsam.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Maria Neuberger-Schmidt

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