Schlafprobleme – Teufelskreislauf Schlafmangel
23 Uhr: Barfuß, im Pyjama, mit zerzaustem Haar, steht Tommi zum dritten Mal an diesem Abend in der Wohnzimmertür: „Ich kann nicht schlafen“, klagt er. Eine Szene, die sich täglich wiederholt, trotz zahlreicher Bemühungen der Eltern, ihrem Sohn die nötige Nachtruhe zu verschaffen.
Die Kindergärtnerin hat sich ebenso mehrfach darüber beschwert, dass Tommi untertags reizbar und angespannt ist, herumzappelt, Anweisungen nicht befolgt, häufig in Streit mit anderen Kindern gerät und niemals lange bei einem Spiel verweilt. Ob der Junge vielleicht ADHS habe, fragt die Pädagogin?
Tommis Verhaltensauffälligkeiten könnten tatsächlich auf ein Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom hinweisen. Schwierigkeiten mit dem Einschlafen, unruhiger Schlaf und mehrmaliges Aufwachen zählen zu den Symptomen von ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom) und ADHS. 70% – 80% der Kinder und Erwachsenen mit AD(H)S leiden daran, sagt eine niederländische Studie.
Die Folgen von Schlafmangel sind am folgenden Tag spürbar: Müdigkeit schwächt Aufmerksamkeit und Konzentration, schränkt Aufnahmefähigkeit und Lernvermögen ein, macht unruhig und reizbar: ein Teufelskreislauf. Denn Kinder brauchen 10 – 12 Stunden Schlaf, um fit zu sein, sagt der amerikanische Arzt Dr. David Monokian.
Schwierige Diagnose
Handelt es sich nur um Schlafmangel, oder steckt ein AD(H)S dahinter? Da Ein- und Durchschlafprobleme ähnliche Verhaltensauffälligkeiten hervorrufen wie AD(H)S und da AD(H)S-Symptome sich bessern, wenn die betroffenen Kinder ausreichend schlafen, ist es oft schwierig, die richtige Diagnose zu stellen.
Warum Schlaf so wichtig ist
Im Schlaf wechseln Phasen der Ruhe und der Aktivität: leichter Schlaf, leichter Tiefschlaf, Tiefschlaf, und Traumschlaf (auch REM-Phase – rapid eye movement (rasche Augenbewegung) – genannt).
Unser Gehirn ruht nicht, während wir schlafen. Erfahrungen des vergangenen Tages und neu Gelerntes werden wiederholt und abgespeichert. Schlafmangel beeinträchtigt diesen Vorgang. „Schlafmangel macht dumm“ schreibt Dr. Jürgen Zulley.
#Wachstum
Zu wenig Tiefschlaf verhindert die Ausschüttung des Wachstumshormons, welches die Erholung fördert, und Körperzellen aufbaut. Betroffene Kinder sind deshalb häufig kleiner als ihrer Altersstufe entspricht.
#Immunsystem
Vorwiegend im Tiefschlaf wird auch das Immunsystem aktiv – es nutzt die Zeit, in der der Körper ruht, um sich zu regenerieren, und neue Antikörper zu produzieren. Schlafmangel schwächt das Immunsystem.
#Lernen
Im Traumschlaf werden neugelernte Bewegungsabläufe (z.B. Turnübungen) trainiert. Bei eingeschränkter Schlafdauer werden die Traumphasen, die in der 2. Nachthälfte überwiegen, verkürzt und das Bewegungslernen beeinträchtigt.
#Verdauung
Schließlich ist der Schlaf auch für die Verdauung wichtig: der Magen-Darmtrakt wird stärker durchblutet und arbeitet an der Endverdauung der Nahrungsmittel, die im Laufe des Tages aufgenommen wurden.
Ärztliche Untersuchung erforderlich
Für Schlafstörungen bei Kindern (mit oder ohne AD(H)S) gibt es vielerlei Ursachen: Kummer und Sorgen, Ängste, häufige Alpträume, Schlafapnoe, Schlafwandeln. Übergroße Mandeln oder Polypen beeinträchtigen die Atmung, besonders im Liegen, ein Zeichen dafür ist lautes Schnarchen. Ein Arzt kann abklären, ob hier eine Operation Abhilfe schafft.
Bei manchen AD(H)S-Kindern führt die Behandlung mit Stimulanzien wie Methylphenidat zu Schlafproblemen. In solchen Fällen sollte eine Anpassung der Dosis oder ein Wechsel der Medikation in Betracht gezogen werden.
Wie können Eltern ihrem AD(H)S-Kind helfen, ein- und durchzuschlafen?
Dr. Jürgen Zulley empfiehlt, fixe Schlafenszeiten einzuhalten und für ausreichende Nachtruhe zu sorgen. Rituale, wie das Erzählen einer Gute-Nacht-Geschichte oder das Vorsingen eines Liedes helfen dem Kind, zur Ruhe zu kommen.
#Medienkonsum
Der Gehirnforscher Manfred Spitzer schreibt: „Schlaflosigkeit zählt zu den häufigsten unerwünschten Effekten der Nutzung digitaler Medien.“ Fernseher, Computer, Handy & Co sollten deshalb außerhalb des Kinderzimmers ihren Platz haben, und mindestens zwei Stunden vor dem Zu-Bett-gehen abgeschaltet werden, um zu vermeiden, dass die Kinder überreizt werden.
#Frischluft
Wer richtig müde ist, dem fallen rasch die Augen zu: Kinder, welche die Möglichkeit haben, sich untertags viel im Freien zu bewegen, schlafen besser als Stubenhocker.
#Belohnung
Eine Studie von Dr. Harriet Hiscock zeigte, dass sich die Lebensqualität von AD(H)S-Kindern durch ein Schlafprogramm nachhaltig verbesserte. Dabei wurden die Eltern z.B. angewiesen, Proteste ihrer Kinder zu ignorieren, wenn sie diese zu Bett brachten, und kooperatives Verhalten mit einem abendlichen Ritual zu „belohnen“.
#Schlafzeit anpassen
Kinder, die lange zum Einschlafen brauchten, sollten nach und nach später schlafen gehen und früher geweckt werden. Eine paradoxe, aber wirkungsvolle Methode, um die problematische Einschlafphase zu verkürzen und das Durchschlafen zu erleichtern. Durch Ängste hervorgerufene Schlafstörungen wurden mit Entspannungs- und Imaginationstechniken behandelt.
Diese Interventionen führten zu einer dauerhaften Verbesserung der Symptome, des Verhaltens, des Arbeitsgedächtnisses und der Lebensqualität bei den betroffenen Kindern: Schlaf als Heilmittel für AD(H)S
Weitere Informationen zu Vorträgen und ADHS-Elternseminaren:
https://adhselternberatung.wordpress.com/