Selbstwertgefühl von Kindern stärken: 5 Stützen
Wie können Eltern das Selbstwertgefühl von Kindern stärken? Psychologin Boglarka Hadinger beschreibt 5 Stützen und wie Eltern sie im Alltag leben können.
Wie können Eltern das Selbstwertgefühl von Kindern stärken? Die Diplompsychologin und Psychotherapeutin Boglarka Hadinger beschreibt fünf Stützen, die ein gesundes Selbstwertgefühl ausmachen, und wie Eltern sie im Familienalltag leben können. Im Gespräch mit meinefamilie.at betont sie: Ziel kann nicht sein, alle Kinder zu Intellektuellen zu erziehen und sich rund um die Uhr nur um ihren Komfort zu kümmern. Glücklich mache Kinder wie Erwachsene vor allem, sich für etwas einzusetzen, seine Kräfte für das Gute zu nützen und seine Fähigkeiten auszuleben, in welchem Bereich sie auch liegen.
#1 Positive Beziehungen zum Kind aufbauen –
im Reden und im Tun
Positive Beziehungen sind für ein Kind die Grundlage, um gesundes Selbstwertgefühl aufbauen zu können. Von Beginn an heißt das für Eltern: Augenkontakt mit dem Kind aufnehmen, exklusiv Zeit füreinander haben, genau schauen und wahrnehmen, was das Kind sagen will und mit ihm kommunizieren. „Was manchmal weniger selbstverständlich ist, ist, dass positive Beziehungen dadurch gestärkt werden, dass man gemeinsam etwas macht. Mütter oder Frauen tendieren eher dazu, zu kommunizieren, was sehr schön ist. Aber Kinder mit hohen Mach-Anteilen, oft sind es die Knaben, wachsen im Miteinander-Tun in gute Beziehungen hinein“, betont Boglarka Hadinger.
#2 Das Selbstwertgefühl von Kindern stärken: Kompetenz vermitteln
Die zweite Quelle für gesundes Selbstwertgefühl ist die Erfahrung, dass man etwas kann, die Erfahrung von Kompetenz. „Da ist manchmal der gute Blick von Eltern erforderlich, die sehen: Wo könnte mein Kind etwas können? Manche Kinder sind gut in der Schule, andere sind gut, wenn sie mit ihren Geschwistern spielen. Wieder andere Kinder haben gröbere Hände, sie sind gut, wenn sie im Keller aufräumen helfen oder im Garten anpacken. Die dritten schauen genau und nehmen die Eltern, die Erwachsenen wahr, haben in ganz anderen Bereichen ihre Könner-Seiten“, beschreibt Hadinger die Möglichkeiten, wo Kinder Stärken haben.
Gleichgültig, ob ein Kind fünf Monate oder sechs Jahre alt ist – die Erfahrung, dass es etwas kann, ist ganz wichtig.
Für Eltern gilt: „Manchmal muss man die Kinder in diese Bereiche hineinlocken und dann loben und zeigen, dass es eine große Freude ist, etwas zu können. Wenn diese Quelle nicht richtig lebt, dann sind Kinder und Erwachsene später darauf angewiesen, ständig von außen bestätigt zu werden, gelobt zu werden oder eine gute Note zu bekommen. Aber wenn man die Freude am Können erlebt, dann ist man nicht so abhängig von anderen“, erklärt Hadinger.
In der jetzigen Zeit auffallend sei die Betonung der kognitiven Kompetenzen. „Im Augenblick haben wir sehr klar eine Idee davon, wann ein Kind gut ist, wann es eine gute Zukunft hat, und da kippen wir fast in eine Akademisierungshysterie. Schon bei Zweijährigen versuchen wir, die Sprachen zu trainieren, ihnen die Buchstaben beizubringen, sie in zweisprachige Kindergärten zu schicken. Das ist per se nicht schlecht, nur meinen wir im Augenblick, nur kognitive Höchstleistler hätten gute Möglichkeiten im Leben und wären fit für das Leben. Dann vergessen wir, auf die handwerklichen Fähigkeiten zu schauen. Oder auf die stillen Beobachter, die andere sehr gut wahrnehmen“, erklärt Hadinger. Dadurch würde man 60 Prozent der Kinder heute nicht gerecht, weil sie andere Talente haben, aber nicht „die Fähigkeit, in Buchstaben, Chemietabellen oder Konjugationen zu lernen.“
#3 Das Selbstwertgefühl von Kindern stärken: Orientierung an Zielen und Werten
„Ganz wichtig ist, zu erfahren, dass Dinge wichtig sind im Leben, dass man sich für etwas einsetzt“, beschreibt Boglarka Hadinger die dritte Stütze, die Ziele und Werte, die Kindern Orientierung geben. „In der Zeit meines Gymnasiums habe ich mich ständig gefragt: Wie bin ich? Bin ich gut oder schlecht, werde ich geliebt oder nicht geliebt, habe ich wieder etwas Dummes gemacht oder nicht, wie komme ich an? Diese Frage ist mir Gott sei Dank mittlerweile unwichtig geworden, viel wichtiger ist mir jetzt: Wozu bin ich da? Auch, um sich für eine schönere Welt einzusetzen oder gegen eine Ungerechtigkeit“, beschreibt Hadinger.
Und diese Frage „Wozu sind wir da?“ sei schon für Zwei- bis Dreijährige wichtig, denn auch kleine Kinder wollen Helden sein und sich für etwas einsetzen!
Wenn ihnen ihre Eltern zeigten, dass sie sich gerne und gut für etwas einsetzen, auch, wenn das nicht immer Erfolg bringt, hätten sie ihren Kindern bereits die besten Ressourcen mitgegeben.
Wie kann sich schon ein zweijähriges Kind für etwas Wichtiges einsetzen? Boglarka Hadinger weiß Beispiele: „Wenn man sieht, dass die Großmutter traurig ist, zu sagen: ‚Wenn du jetzt ein Lied singst, geht’s der Oma besser!‘ Dadurch merkt das Kind, dass auch andere in der Welt sind. Die zweite Erfahrung ist: ‚Wenn ich meiner Großmutter etwas vorsinge, dann gelingt mir etwas! Sie ist froh und ich kann singen.‘ Oder wenn eine Nachbarin gerade Laub zusammenkehrt, hinzugehen und zu sagen: ‚Wir helfen dir!‘
Ich habe eine Familie beobachtet, die ihr Auto geputzt hat. Ihr Kind ist danebengesessen, hat eine Süßigkeit nach der anderen bekommen – die Eltern versuchten, das Kind zu beschäftigen, während sie das Auto geputzt haben. Dann habe ich dem Kind einen Schwamm und ein Tuch gegeben und gesagt: Du kannst mithelfen, dann wird das Auto noch schöner! Und das vorher total quengelige Kind ist glücklich geworden. Es hat die Erfahrung gemacht: ‚Ich kann etwas, ich kann hier mittun und etwas bewirken.‘ Manchmal ist das viel schöner, als bloß im Zentrum zu sein und bespaßt zu werden.“
#4 Das Selbstwertgefühl von Kindern stärken: Ein guter Mensch sein
Die Erfahrung, ein guter Mensch sein zu können, ist ein Geschenk. „Wir können unseren Kindern die Erfahrung schenken, dass sie etwas zu geben haben oder manchmal sogar verzichten können. Das muss man nicht übertreiben – frühere Generationen mussten zu viel schuften, zu viel verzichten. Jetzt kippen wir aus lieben Erziehungstendenzen heraus aber ins andere Extrem, dass die Kinder erfahren, dass nur sie wichtig sind und nur sie zählen, dass nur sie bespaßt werden – das macht nicht glücklich. Die Erfahrung, manchmal auf ein Eis zu verzichten und dafür am Sonntag mit der Familie gemeinsam Mittagessen zu gehen – das ist viel mehr Erfüllung als das ständige Bespaßtwerden“, ist Hadinger überzeugt.
‚Ich kann etwas Gutes in dieser Welt bewirken.‘ Wenn diese Erfahrung nicht positiv gemacht werde, müssten sich grobe Burschen zudem andere Entfaltungsmöglichkeiten suchen. Hadinger spricht von Haudegen-Kerlen, die überall etwa sieben Prozent der Burschen ausmachen, die zwar nicht so leicht lernen, aber einen Sinn für das Praktische haben. Im Augenblick seien sie nicht gefragt, daher sprechen sie radikale und terroristische Zusammenschlüsse umso mehr an, beschreibt Hadinger: „Diese Knaben fühlen sich als Versager und erleben, dass sie für nichts gut sind. Dann kommt eine nette Gruppe, die sagt: Bei uns hast du gute Aufstiegschancen, bei uns veränderst du die Welt. Du kannst herumballern, die Feinde abschießen, die Welt erlösen und am Ende bekommst du noch einen Haufen Mädchen und bist ein Held. Am Ende sind die Knaben kopflos und rennen hin. Die Erfahrung, dass man gut ist in dieser Welt, dass man sich für etwas Gutes einsetzen kann, die ist sogar für die Haudegen-Kerle gültig.“
#5 Das Selbstwertgefühl von Kindern stärken: Lebensfreude erleben
Die Erfahrung, dass die Welt manchmal leicht, unbeschwert, witzig ist, das ist die Erfahrung der Lebensfreude, die fünfte Stütze für ein gesundes Selbstwertgefühl. Dafür brauche es auch eine schöne Umgebung, beschreibt Hadinger: „In einer tristen, ungepflegten, verwahrlosten Umgebung oder in einer Großstadt-Umgebung, wo nur der Autolärm von der Straße hereindröhnt, ist es nicht leicht, eine heile Seele zu behalten. Am Anfang hat jeder Mensch eine heile Seele, aber die Umgebung spielt eine Rolle.“
Eltern dürfen Fehler machen
Diese fünf Hilfestellungen, um das Selbstwertgefühl von Kindern zu stärken, sind wieder fünf Erziehungstipps mehr in einer Zeit, in der wir Sporthallen mit Erziehungsratgebern füllen könnten. Da können Eltern bald das Gefühl haben, gar nichts richtig machen zu können. Boglarka Hadinger entkräftet: „Jede Elterngeneration macht Fehler und darf auch Fehler machen, niemand muss perfekt sein. Ich habe erlebt, dass aus diesen Fehlern in der nächsten Generation Sinnbestrebungen wachsen, etwas zu korrigieren. Dadurch hat die nächste Generation auch eine Sinnaufgabe. Es ist wichtig, allen Eltern zu sagen: Macht ruhig Fehler.“
Was Eltern außerdem zuversichtlich stimmen kann:
- „Man kann ein Kind höchstens bis zum 16. Lebensjahr erziehen, danach sind alle Menschen erziehungsresistent. Dann haben wir alle aber zumindest noch 60 Jahre für die Selbsterziehung.
- Eltern geben ihren Kindern so viele gute Werte mit. Ich habe es oft erlebt, dass eines Tages sehr viel aus dem unsichtbaren Wertegepäck ausgepackt wird.
- Sich informieren im Erziehungsbereich, aber sich nicht verunsichern lassen. Zu meiner Zeit war die anti-autoritäre Erziehung ganz hoch im Kurs. Ich war verunsichert, als ich mir dachte: ‚Jetzt muss ich meinen Kindern Grenzen setzen, aber in allen Ratgebern stand, die Kinder entscheiden selbst…‘ Manchmal ist es besser, der eigenen Intuition zu vertrauen als einem Ratgeber.“
Dr. Boglarka Hadinger ist Diplompsychologin, Psychotherapeutin und fachliche Leiterin des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse in Tübingen und Wien.