Unerfüllter Kinderwunsch – Ursachen & Hilfsangebote

Ungewollte Kinderlosigkeit wird von für vielen Paare als schwerste Krise ihres Lebens empfunden. „Es war nicht nur der Abschied von einem Kind, sondern von einem Lebensplan, auf den wir uns eingestellt hatten. Plötzlich war uns diese Perspektive genommen“, beschreibt Jürgen seine Gefühle.“ 1 

Warten und Bangen, Hoffnung und Enttäuschung, Hilflosigkeit und Ohnmacht.

Ein Wechselbad der Gefühle, verstärkt durch einen immer enger werdenden Tunnelblick und ständiges Kreisen um das Thema im Alltag. Gefolgt von der Infragestellung des eigenen Selbstwertes und sozialem Rückzug aus Scham.

Doch was sind die Ursachen und wie können wir einen heilsamen Weg finden, mit diesem Schicksalsschlag umzugehen?

Im Gespräch mit Martina Pichler, Dipl. Lebens- und Sozialberaterin.

Hard Facts zur ungewollten Kinderlosigkeit

10 bis 15 % aller Paare in Österreich sind ungewollt kinderlos.2 „Die Ursachen für ungewollte Kinderlosigkeit liegen zu 55,1% beim Mann, zu 14,8% bei der Frau und in 30,1% der Fälle an beiden Partnern“, erklärt Prof. Andreas Obruca, Gründer und ärztlicher Leiter des Kinderwunschzentrum an der Wien.

Als kinderlos gilt ein Paar, wenn sich nach 1 bis 2 Jahren regelmäßigem und ungeschütztem Geschlechtsverkehr keine Schwangerschaft einstellt.

Ursachen der ungewollten Kinderlosigkeit

„Die häufigste Störung der männlichen Fruchtbarkeit ist die unzureichende Produktion normaler, gut beweglicher Spermien. Der häufigste Grund für vorzeitige Sterilität bei der Frau ist ein Eileiterverschluss, der dazu führen kann, dass die befruchtete Eizelle nicht in die Gebärmutter wandert“, so Obruca.

Körperliche Ursachen bei Frauen:

Weitere Ursachen bei Frauen sind Erkrankungen wie Endometriose, polyzystisches Ovarial-Syndrom, Anomalien im Uterus oder Eileiter sowie Verletzungen oder Fehlbildungen der Geschlechtsorgane. Aber auch Störungen der Schilddrüse, hormonelle Störungen oder Stoffwechselerkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus können dafür verantwortlich sein. Genauso wie früher erfolgte Operationen sowie Chemotherapien. Zu den natürlichen Ursachen zählen genetische Faktoren oder zu hohes Alter durch lange hinausgeschobene Familienplanung.

Körperliche Ursachen bei Männern:

Neben dem OAT-Syndrom (schlechte Spermienqualität) spielen auch hier hormonelle Störungen, Stoffwechselerkrankungen, Operationen, Chemotherapie, genetische Faktoren sowie Anomalien oder Verletzungen bzw. Fehlbildungen der Geschlechtsteile eine Rolle.

Psychische Ursachen bei beiden Partnern:

Zu den psychischen Ursachen zählen oft starke Stressbelastung und daraus resultierend hormonelle Störungen sowie andere psychogene Faktoren.

„Vier Fehlgeburten durchlebt das Paar in viereinhalb Jahren und vor allem Katharina nimmt es sehr schwer. Die Frau mit den wilden Locken und dem breiten Lächeln wird immer trauriger.“ 1

Psychische Belastungen durch ungewollte Kinderlosigkeit

Vor allem im christlichen Umfeld spielt das Lebenskonzept Familie eine große Rolle. Freunde und Bekannte bekommen mit freudvoller Selbstverständlichkeit Kinder und das Thema der eigenen Kinderlosigkeit wird immer schambesetzter. Auf Nachfragen folgt sozialer Rückzug, da Erkundigungen vom Umfeld über den „ausstehenden Nachwuchs“ zusätzlich unter Druck setzen.

Die Frage nach dem WARUM zermürbt.

Das Gefühl, keine richtige Frau, kein richtiger Mann zu sein, führt zu straken Minderwertigkeitsgefühlen. Das Sexualleben des Paares richtet sich nur mehr nach dem Zyklus der Frau und nicht mehr nach dem gemeinsamen körperlichen Lustempfinden. Dazu kommen unbewusste Schuldzuweisungen eines oder beider Partner, die in einem emotionalen Abstand voneinander münden. Auch frühere individuelle oder partnerschaftliche Konflikte sowie schmerzhafte Prozesse können dadurch aufflammen. Vor allem bei unterschiedlich großem Kinderwunsch, oder wenn ein Partner einen Lebensentwurf ohne Kind nicht akzeptieren kann, wächst die Verunsicherung in der Beziehung. Im schlimmsten Fall sind Depressionen, Angstzustände oder Suizidgedanken möglich, da kein Sinn mehr im Leben gefunden werden kann.

„Immer öfter erlebt Katharina depressive Phasen. „Manchmal habe ich in ganz unpassenden Situationen geweint.“ Zum Beispiel, als ich dieses süße Mädchen in einem Café sah und plötzlich dachte: Wow, das wirst du nie haben“, erinnert sie sich.“1

Umso wichtiger ist es die Ursache abklären zu lassen und sich frühzeitig psychologische bzw. psychosoziale Begleitung Hilfe zu holen.

Professionelle Begleitung bietet Raum zur Verarbeitung der Gefühle.

„Im Großen und Ganzen erinnert die psychologische Begleitung eines ungewollt kinderlosen Paares stark an eine Trauerbegleitung“, so Pichler im Gespräch. Ich begleite das Paar bei einem Trauerprozess über das Kind, welches dieses nicht bekommen kann, sowie den Verlust eines Lebensentwurfes. Ein Durchleben all dieser Stadien ist wichtig, um den Verlust zu verarbeiten und im Leben weitergehen zu können.

Eine gute professionelle Begleitung unterstützt bei der Inanspruchnahme medizinischer Behandlungsmöglichkeiten, wie z. B. Reproduktionstechniken. Dazu zählen IVF (In-vitro-Fertilisation), ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion), medikamentöse Therapie oder operative Eingriffe. Selbst wenn sich das Paar einig ist, diesen Weg zu gehen, ist die körperliche und seelische Belastung bei einem medizinischen Eingriff groß. Auch sollte sich das Paar dessen bewusst sein, dass damit die Achterbahnfahrt zwischen Hoffnung und Enttäuschung von Neuem beginnt. Hier kann eine psychologische Beratung eine gute Stütze sein.

Psychologische Beratung unterstützt bei der Verarbeitung von Gefühlen,

  • wie Scham und Wut. Entlastung geschieht hier durch die Anerkennung und Akzeptanz der eigenen, oft verdrängten Gefühle. Ebenso durch die Information, dass es vollkommen natürlich und in Ordnung ist so zu empfinden, gestützt durch die Annahme vonseiten der Beraterin. Oftmals erfahren Betroffene auch erst im Beratungssetting, wie es dem eigenen Partner/der Partnerin wirklich geht.
  • Hilflosigkeit und Ohnmacht. Der sichere Rahmen der Beratungssituation schafft Stabilisierung und ermöglicht Ressourcenorientierung. Hier können Methoden zur allgemeinen Stressbewältigung und Entspannung sowie Kommunikationsmodelle bei    Partnerschaftskonflikten erfahren und erarbeitet werden. Ebenso unterstützt die Beratung dabei, Ressourcen im Außen zu schaffen. Wie z. B. die Teilnahme an Online-, Kinderwunsch-Gruppen auf Social-Media-Kanälen oder die Öffnung einer Vertrauensperson gegenüber.

 

„Nach der dritten Fehlgeburt spürt Katharina deutlich: „Es besteht die Möglichkeit, dass das nichts mehr wird.“ Eine bittere Erkenntnis und ein ganz neues Gefühl: „Ich war es bis dahin gewöhnt, mein Leben in der Hand zu haben, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Aber hier hatte ich keine Kontrolle.““ 1

„Ein wichtiger Schritt in Richtung Heilung des Schmerzes ist die Enttäuschung über die eigene Kinderlosigkeit zu akzeptieren und anzunehmen.“, so Pichler im Gespräch. Ist es Paaren möglich, die Tatsache zu akzeptieren, dass vieles beeinflussbar ist, manches aber nicht in eigener Hand liegt, ist dies eine starke Chance zu reifen und Tiefe sowie einen neuen Sinn im Leben zu erfahren.

„Und dann kommt der Tag, an dem beide entscheiden: Wir werden diesen Weg nicht weitergehen. „Wir hatten unsere Grenze erreicht. Wenn einer auf der Strecke bleibt, wird das Ziel unwichtig!“, sagt Jürgen mit fester Stimme. Nun heißt es heilen und nach vorne blicken.“ 1

Professionelle Unterstützung hilft daher auch bei der Findung von Alternativen. Gemeinsam werden individuelle Bewältigungsstrategien und Entscheidungshilfen für ein weiteres Vorgehen, einen neuen Lebensentwurf erarbeitet. Der trotz Kinderlosigkeit ein sinnvolles und glückliches Leben ermöglicht. Möglichkeiten sind zum Beispiel eine stärkere Bindung an Patenkinder, Nichten und Neffen, aber auch das Finden anderer nährender Inhalte, wie z. B. ein vermehrtes Engagement in der (Glaubens-) Gemeinschaft oder bei gemeinsamen Projekten.

„Katharina und Jürgen haben gelernt, dankbar zu sein – füreinander und für das, was sie haben. „Je mehr Zeit vergeht, desto kleiner wird die Trauer. Obwohl sie ein Teil von uns ist und uns den Rest unseres Lebens begleiten wird, haben wir unser Glück gefunden.“ “ 1

 

Mag. Martina Pichler – Psychologie im Garten
Dipl. Lebens- und Sozialberaterin
Psychologische Beratung in 1010 und 1210 Wien und Online (psychologieimgarten.at)
Einzel- und Paarberatungen,
Workshops, Seminare und Vorträge
+43 699 192 11 542
pichler@psychologieimgarten.at
Stadtpraxis: 1010 Wien, Dominikanerbastei 21/46
Gartenpraxis: 1210 Wien, Holzmeistergasse 10/3-4

 

1 Paare mit unerfülltem Kinderwunsch - Don Bosco (donbosco-magazin.eu)
2 Microsoft Word - PM_Kinderwunschzentrum_2022.docx

Ähnliche Artikel

Ein Artikel von

Portraitfoto Regina Madgalena Smrcka

Weitere Artikel des Autors lesen