Unser Pflegekind ist Teil unserer Familie: Wie das erste Jahr war

Fast ein Jahr ist es nun her, dass unsere Jüngste bei uns eingezogen ist. Zeit, ein wenig Resümee zu ziehen und einen (vorläufig) abschließenden Teil zu meinen Beiträgen über Pflegekinder zu schreiben. Vieles hat sich verändert in diesen Monaten. Abgesehen davon, dass unsere Maus von einem kleinen Baby zu einem fröhlichen Kleinkind geworden ist, das uns jeden Tag mit ihrer Kreativität und ihrer schnellen Auffassungsgabe überrascht, haben sich auch die Umstände rundherum rapide geändert.

Die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ist gut. Ein wenig traurig ist, dass dem Jugendamt so viele Ressourcen fehlen. Unsere Betreuerin muss bis zu 40 Familien betreuen, gerade in unserem Fall war die Arbeit mit der Herkunftsfamilie sehr intensiv. Dabei merkt man leider die Grenzen der Möglichkeiten. Die Besuchskontakte waren zeitweise regelmäßig, dann mussten sie wieder aus verschiedenen Gründen ausfallen. Mittlerweile gibt es keine Besuchskontakte mehr, die Eltern sind beide ins Ausland gezogen. Wir versuchen Kontakt mit dem in Österreich lebenden Teil der Familie zu halten, damit unsere Tochter auch Kontakt zur Herkunftsfamilie behält.

Es ist für die gesunde psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sehr wichtig, ihre Wurzeln zu kennen.

In unserem Fall wären sogenannte „biographische Kontakte“ geplant gewesen. Ziel dieser Kontakte ist es, dass den Kindern der Kontakt zur Herkunftsfamilie erhalten bleibt. Diese Art der Kontakte, die üblicherweise monatlich für etwa eine Stunde stattfinden, wird gewählt, wenn klar ist, dass es nicht möglich sein wird, das Kind in die Herkunftsfamilie rückzuführen, weil die Probleme, die zur Abnahme geführt haben, nicht lösbar sind oder von Seiten der Eltern keine Fähigkeit oder Bereitschaft besteht, die Lösung der Probleme anzugehen. Es ist für die gesunde psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sehr wichtig, ihre Wurzeln zu kennen. Deshalb versucht man, den Kontakt zur Herkunftsfamilie so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Nur wenn Kinder sehr negativ auf die Besuchskontakte reagieren (meist mit schweren Verhaltensauffälligkeiten nach Besuchskontakten) werden diese vom Jugendamt her eingeschränkt.

Herkunftseltern miteinbeziehen ohne das Kind zu belasten

Im Idealfall finden Besuchskontakte im ersten Jahr begleitet von der Sozialarbeiterin in Spielräumen der Kinder- und Jugendhilfe statt, wenn diese begleiteten Kontakte gut laufen, dann zieht sich die Sozialarbeiterin zurück und man kann sich die Kontakte selbst organisieren. Dabei darf man kreativ sein – Spielplatz, Ausflüge … je nach Lust und Laune, wobei man bedenken sollte, dass so ein Treffen die meist schmale Geldbörse der Herkunftseltern nicht über Gebühr belasten sollte. Oft werden die Treffen dann seltener, dafür aber jeweils länger als eine Stunde. Wenn es sich nicht um eine extrem gute Arbeitsbeziehung zu den Herkunftseltern handelt, sollte man davon Abstand nehmen, die Treffen daheim stattfinden zu lassen. Prinzipiell haben die leiblichen Eltern das Recht, zu erfahren, wo ihre Kinder leben. In der Praxis ist es aber meist besser, diese Information für sich zu behalten. Oft spielt psychische Instabilität eine Rolle in der Geschichte der Herkunftseltern, und man möchte nicht unbedingt außerplanmäßige Besuche riskieren. Auch zur Terminvereinbarung empfiehlt sich z.B. eine eigene Wertkarten-Handynummer.

Pflegekinder schleppen zeitlebens einen Rucksack

Wir hatten einige medizinische Probleme zu überwinden, glücklicherweise ist die kleine Maus mittlerweile kerngesund und entwickelt sich komplett normal. Im Umkreis anderer Pflegeeltern haben wir gesehen, dass das nicht selbstverständlich ist. Viele Pflegekinder haben Beeinträchtigungen, die sich aus ihrer Herkunftsgeschichte ergeben – Drogen und Alkohol während der Schwangerschaft, schwere Vernachlässigung und Traumatisierung sind üblich und schaffen große Hürden, die von den Kleinen überwunden werden müssen. Pflegekinder schleppen meist zeitlebens einen Rucksack mit sich herum, der schwerer ist als der durchschnittlicher Kinder. Sie brauchen besonders von Aufmerksamkeit und Zuwendung, aber man muss sich im Klaren sein, dass leider nicht alle Schäden, die Pflegekinder durch ihre Herkunftssituation erlitten haben, einfach „weggeliebt“ werden können.

Prinzipiell haben die leiblichen Eltern das Recht, zu erfahren, wo ihre Kinder leben. In der Praxis ist es aber meist besser, diese Information für sich zu behalten.

Riesiges Glück hatten wir bezüglich der Beziehung zwischen unseren beiden Kindern. Die Große, unsere Adoptivtochter, hat die Kleine mit offenen Armen empfangen und ist überglücklich damit, eine große Schwester zu sein. Alle Eifersucht, die völlig normal ist bei der Ankunft eines Geschwisterkindes, fokussiert sie auf uns und nicht auf ihre kleine Schwester, die Beziehung zwischen den beiden ist liebevoll und entspannt. Wir hätten es uns nicht besser wünschen können.

zwei Kinder schauen aus dem Fenster

Ich habe das Glück, mich in Wien als Pflegemutter anstellen lassen zu können. Dieses Angebot wird Wiener Pflegemüttern gemacht, damit sie ohne Angst vor Altersarmut ihre Kinder länger und intensiver betreuen können. Folge dessen bewegt sich das Gehalt, dass man als angestellte Pflegemutter bekommt, gerade über der Geringfügigkeitsgrenze, so dass man pensionsversichert ist. Neben der Betreuung des Kindes sowie der Einhaltung der Besuchskontakte ist man verpflichtet, sich intensiv um Biografiearbeit für das Pflegekind zu kümmern sowie an Supervision und Fortbildungen teilzunehmen, insgesamt beträgt der Arbeitsaufwand circa 20h monatlich. Ich habe dieses Angebot mit Begeisterung angenommen - Supervision ist sehr hilfreich und wäre eigentlich für alle Eltern wünschenswert, ebenso die Fortbildungen, bei denen ein umfangreiches Programm rund und Kindererziehung, Herkunftsfamilien und andere Kulturen, sowie generelle kindliche Entwicklung geboten wird. Interessierten kann ich hierfür an den Verein Eltern für Kinder (EfKÖ) verweisen. Einige Fortbildungen stehen auch Eltern mit leiblichen Kindern offen. Außerdem berät der Verein an Pflege und Adoption interessierte, aber auch Eltern, die Erziehungsberatung suchen.

Ein Pflegekind bedeutet immer auch Biografiearbeit

Und was bleibt noch? Ich bleibe offen für das, was da noch kommt. Ich liebe meine Pflegetochter von ganzem Herzen, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein leibliches Kind mehr lieben könnte. Sie ist so sehr mein Kind wie ein Kind es nur sein kann. Ich muss offen zugeben, dass die Besuchskontakte für mich manchmal belastend waren, ich schwankte zwischen großer Empathie mit dem Herkunftseltern und spürte gleichzeitig schmerzlich die Ablehnung der Herkunftseltern mir gegenüber, für die ich natürlich auch wieder Verständnis aufbringen muss. Für harmoniebedürftige Menschen wie mich ist das nicht immer einfach. Ich hoffe, dass man im Laufe der Zeit mehr Übung darin bekommt, mit dieser Diskrepanz umzugehen.

Ich schwankte zwischen großer Empathie mit dem Herkunftseltern und spürte gleichzeitig schmerzlich die Ablehnung der Herkunftseltern mir gegenüber, für die ich natürlich auch wieder Verständnis aufbringen muss.

Was würde ich insgesamt empfehlen? Ein Pflegekind aufzunehmen, ist eine wunderbare Aufgabe, die man mit großer Freude, aber auch informiert und mit realistischen Erwartungen angehen sollte. Wir hatten großes Glück, ein – so wie es bis jetzt scheint – gesundes Kind aufnehmen zu dürfen. Man muss sich aber innerlich darauf vorbereiten, dass das nicht immer der Fall ist. Die Anspannung, die der Umgang mit ablehnenden Herkunftseltern in das eigene Leben bringt, sollte nicht unterschätzt werden. Man sollte sich darauf vorbereiten, dass man den Eltern immer noch offen und annehmend gegenüberstehen muss, ihnen Empathie entgegenbringt, auch wenn man von diesen nur Drohungen und Beschimpfungen erntet. Diese Offenheit muss man leisten können, damit man das Pflegekind nicht in einen Loyalitätskonflikt bringt.

Alles in allem ist es aber am Ende auch nicht soooo sehr anders, als wenn ein leibliches Geschwisterkind in die Familie kommt….

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