Ein Stufenprogramm fürs Schlafengehen
Der Weg ins Bett ist am Abend oft nicht einfach. Eine Familie teilt die Erfahrung ihres „Stufenprogrammes“, das den Kindern hilft, den Tag abzuschließen und in der Familie eine ruhige Atmosphäre zum Schlafengehen schafft.
Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift Familie als Berufung erschienen. Autor ist diesmal Familie Aichner, Schönstatt-Familientrainer mit sechs Kindern.
FAB: Der Tag war lang und herausfordernd: Für die Kinder in Kindergarten und Schule, mit Hausaufgaben und Freizeitprogramm – für die Eltern Beruf, Hausarbeit, Begegnungen. Und am Abend noch die Frage: Wie bekommen wir die Kinder ins Bett?
Fam. Aichner: Ja, das ist oft eine Herausforderung. Man möchte selber gern seine Ruhe haben, sich vom Tag entspannen, aber da ist noch was zu erledigen. Die Teenager gehen meist selber ins Bett, aber die kleineren Kinder brauchen uns, um den Tag zu einem guten Abschluss zu bringen.
Der wichtigste Punkt: Wir müssen uns Zeit nehmen für das Niederlegen. Wir müssen den Kindern helfen, „runterzukommen“: eine ruhige Atmosphäre schaffen, um den Tag hinter uns zu lassen; eine ruhige Atmosphäre, die auf das Schlafengehen einstimmt.
Rituale geben Sicherheit – auch beim Schlafengehen
FAB: Einstimmen auf das Schlafengehen – was heißt das konkret?
Fam. Aichner: Gerade am Abend ist es wichtig, Rituale zu schaffen. Wenn jeder Abend komplett anders abläuft, kann sich das Kind nicht fallen lassen und wird „unter Strom“ bleiben. Rituale geben Sicherheit, Halt und Orientierung. Bei uns hat sich da im Laufe der Jahre ein Stufenprogramm entwickelt, so wie die Sprossen auf einer Leiter. Jede Sprosse führt weg von der Hektik des Tages, jede Sprosse führt näher zum Schlafen.
Die erste Sprosse bei uns ist ein gemeinsames Abendessen. Das ist nicht nur Nahrungsaufnahme, schnell abfüttern, das ist Gemeinschaft in der Familie. Das geht nicht unter einer halben Stunde – so viel Zeit brauchen wir, dass jeder etwas vom Tag erzählen kann, dass wir gemeinsam lachen und uns füreinander interessieren. Auch wenn die Teenies schon oft außer Haus sind – mit den Kleineren gibt es immer ein ausführliches Abendessen.
Am Abend auf den Tag zurückschauen
Die zweite Sprosse: Jeden Tag nach dem Abendessen kommt das Abendgebet. Wir versammeln uns im Hausheiligtum (ein mit Kreuz und Muttergottesbild schön eingerichteter Teil des Wohnzimmers). Wir singen miteinander; die Kinder, die ein Instrument lernen, spielen dazu. Wir halten Rückschau auf den Tag und schauen: Wofür möchten wir Jesus danken? Oder wo sind uns Situationen begegnet, wo jemand unser Gebet braucht?
Wenn wir den Tag anschauen, kann es sein, dass ein Streit wieder hochkommt. Da ist dann Raum, sich zu versöhnen; sich zu entschuldigen und sich die Hände zu reichen. Es ist wichtig für eine gute Nachtruhe, dass man nicht unversöhnt schlafen geht. Das gilt übrigens genauso für die Erwachsenen! „Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen!“, schreibt schon der Apostel Paulus (Eph 4,26). Es ist eine ganz heimelige Atmosphäre: bei Kerzenschein, Kinder am Schoß oder eng an uns gekuschelt. Und zum Abschluss beten wir den Engel des Herrn oder ein Gesätzchen vom Rosenkranz.
Die dritte Sprosse findet im Badezimmer statt. Aufs-Klo-gehen, Zähne putzen, waschen oder duschen, ab in den Pyjama. Bettfertig machen.
Die Gute-Nacht-Geschichte ist die vierte Sprosse. Jedes Kind bekommt seine eigene Geschichte; Papa oder Mama legen sich zum Kind ins Bett, lesen vor oder erzählen frei. Besonders beliebt sind fortlaufende Geschichten. Nach der Geschichte gibt es Kinder, die gern noch ein bisschen plaudern, andere werden gern gekitzelt und kurz in den Arm genommen, wieder andere lieben es, wenn man die Decke ausführlich über ihnen ausschüttelt. Als Eltern sind wir einfach aufmerksam: Was mag mein Kind besonders?
Die fünfte und letzte Sprosse ist der Segen: Jedes Kind bekommt ein Kreuzerl mit Weihwasser. Und dann ist Schluss. Wir Eltern gehen aus dem Zimmer, und die Kinder wissen, jetzt ist Schluss, jetzt ist Schlafenszeit. Und wenn ein Kind glaubt, danach noch herumtanzen zu müssen, sagen wir klar und deutlich unsere Meinung: „Jetzt ist Schlafenszeit. Sofort ab ins Bett! Wir haben dich schon niedergelegt!“
Familie hat Priorität
FAB: Das hört sich ja richtig abendfüllend an!
Fam. Aichner: Ja, stimmt. Da ist kein Platz für die Nachrichtensendung oder die tägliche Fernsehserie um 19 Uhr. Aber das ist unsere Entscheidung: Was hat Prioriät – unsere Familie oder etwas anderes? Gerade die Gestaltung der Abende prägt unsere Kinder, schenkt ihnen Geborgenheit und Heimat in der Familie. Über den berufstätigen Mann sagt P. Kentenich: „Seine Hauptarbeit beginnt, wenn er gearbeitet hat, wenn er nach Hause kommt.“ Das kann man heute genauso für die Frau sagen. Wir sind beruflich sehr herausgefordert – aber unsere Familie ist wichtig. Unsere Kinder sind es wert, dass wir viel in sie investieren.
Wenn das 5-Stufen-Programm auf den ersten Blick zu herausfordernd ausschaut – wir möchten Mut machen, einfach mit einer oder zwei Stufen anzufangen.
Eine junge Frau hat uns einmal erzählt: Sie hat das immer sehr genossen, wenn die Mutter sie am Abend zugedeckt hat und ein vertrautes Gebet mit ihr gesprochen hat. Die Mutter ist wieder hinausgegangen – das Mädchen hat still weiter gebetet und ist selig eingeschlafen. Ein Jugendlicher hat erzählt, dass ihm besonders die Gute-Nacht-Geschichten sehr viel gegeben haben. Also: einfach anfangen, an einem Punkt das Abendritual bewusst zu gestalten. Und immer wieder genau hinschauen: Was braucht jedes Kind? Was tut ihm gut?
Wenn das Kind nicht einschlafen kann
FAB: Was mache ich, wenn das Kind trotzdem nicht einschlafen kann?
Fam. Aichner: Das kann viele Gründe haben; wir zählen einfach ein paar davon auf:
- Hat das Kind vielleicht zu viel Stress gehabt? Manche Kinder haben schon so viele Termine wie ein Erwachsener. Schule, Fußballtraining, Klavierstunde, Reitstunde, Nachhilfe,… An sich alles gute Sachen, aber war es in Summe einfach zu viel?
- War das Kind zu vielen Reizen ausgesetzt? Wenn ich den ganzen Tag vollgestopft werde mit Reizen – Computer, Fernsehen, Smartphone – dann habe ich natürlich Schwierigkeiten, am Abend runterzukommen. Da heißt es dann: auf einen ruhigeren Tagesablauf achten. Z.B. nach 17 Uhr kein spannendes Computerspiel mehr spielen, keinen Film mehr anschauen.
- Es kann auch sein, dass das betreffende Kind chronisch übermüdet ist. Wenn ein Kind insgesamt zu wenig Schlaf bekommt, schläft es auch schlechter ein. In so einem Fall ist es wichtig, das Schlafpensum langsam umzustellen. Jeden Tag 10 Minuten früher ins Bett, dann wird sich auch das Einschlafen normalisieren.
- Befindet sich das Kind in einer Umstellungsphase? Vielleicht hat das Kind einen ausgedehnten Mittagsschlaf und ist deswegen abends ewig munter? Während die meisten Babys und Kleinkinder zu Mittag schlafen, hören sie irgendwann (zwischen 2 und 5 Jahren) damit auf. Der Zeitpunkt für diesen Wandel kann sich ankündigen, wenn das Kind abends nicht mehr einschlafen will.
Ein Ruf nach Aufmerksamkeit
- Manchmal holen sich Kinder Extra-Zuwendung dadurch, dass sie immer wieder aufstehen – auch wenn das dann oft Negativ-Zuwendung ist. Wenn wir den Verdacht haben, das könnte der Fall sein: Als Ehe-Team genau hinschauen, ob der Liebestank meines Kindes gefüllt ist! Hat es Defizite, die besonders in der sensiblen Phase des Einschlafens aufbrechen? Fühlt sich das Kind von uns geliebt – und wie kann es das spüren?
- Das Wieder-Aufstehen kann auch ein Machtkampf sein: Wenn nicht klar ist, wer die Führung in der Familie hat – Eltern oder Kind – dann lassen die Kinder keine Gelegenheit aus, das herauszufinden. Für uns ist klar: Wir Eltern haben die Führung. Liebevolle Führung, aber wir bestimmen in unserer Familie, wo es langgeht – und nicht das Kind. In dieser Überzeugung können wir auch bestimmen, wann es für welches Kind gut ist, schlafen zu gehen.
- Es kann aber schlicht und einfach sein, dass ein Kind am Abend noch nicht müde ist. Das Schlafbedürfnis unserer Kinder ist recht unterschiedlich, und da kann es leicht sein, dass eines einfach erst später einschlafen kann. Dass die Älteren später schlafen gehen als die Jüngeren, ist grundsätzlich klar – aber das individuelle Schlafmaß muss auch berücksichtigt werden. In so einem Fall darf das betreffende Kind beispielsweise im Bett noch lesen.
- Unser besonderes Augenmerk brauchen hochsensible Kinder (laut aktuellen Studien etwa 20% der Kinder!): Sie nehmen Reize viel stärker wahr als andere und brauchen schon während des Tages Rückzugsmöglichkeiten. Ansonsten sind sie am Abend so erschöpft, dass ein ruhiges Abendprogramm nicht mehr zu schaffen ist.
Was hilft gegen das „Monster unterm Bett“?
FAB: Was kann man machen, wenn Kinder immer wieder aufwachen, weil sie Angst haben?
Fam. Aichner: Wenn Kinder Angst haben, kommen sie natürlich zu den Eltern.
Es spricht für eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kindern, wenn sie bei Angst zu uns kommen!
Dabei können sie oft gar nicht artikulieren, warum sie Angst haben. Da gibt es den sogenannten „Nachtschreck“: wenn die Phantasie der Kinder erwacht, glauben sie zum Beispiel, dass ein Krokodil unter ihrem Bett sitzt oder Monster vor der Türe lauern. Da brauchen die Kinder noch mehr unsere Nähe. Wir haben die Kinder in so einer Situation oft wieder ins Hausheiligtum geholt und ihren Schutzengel um seinen Schutz gebeten.
Oft erzählen Eltern auch, dass das Kind in der Nacht immer zu den Eltern ins Bett kommt. Die Grundfrage dabei ist: Stört das die Eltern? Es gibt Eltern, die mit Begeisterung ein Familienbett mit den Kindern teilen. Andere können nicht mehr gut schlafen, wenn das Kind daneben liegt. Hier gilt es, selber nachzuspüren: was braucht mein Kind, was brauche ich, damit wir gut schlafen können? Und dann gibt es vielleicht auch Kompromisse: Das Kind, das nicht allein schlafen will, kann beispielsweise mit einem Geschwisterchen im Zimmer sein. Oder wir stellen ein Kinderbett in unser Schlafzimmer.
Handy-Zeiten am Abend begrenzen
FAB: Und bei Jugendlichen – wie sieht da das Zubettgehen aus?
Fam. Aichner: Grundsätzlich gilt, je älter die Kinder werden, desto mehr können sie für sich Verantwortung übernehmen. Wir geben irgendwann keine fixe Schlafenzeit mehr vor; wir beobachten aber, ob sie übermüdet sind und geben entsprechendes Feedback. Je nach Typ des Kindes braucht es auch da und dort Unterstützung: Beispielsweise muss das Handy ab 21 Uhr in der „Handygarage“ liegen. Auch das Internet geht bei uns um 22:30 schlafen (das Modem schaltet sich ab). Das hilft den Teenies, sich Richtung Bett zu begeben und wichtige Dinge für die Schule zeitgerecht zu erledigen.
Wir haben als Eltern die wunderbare Aufgabe, unsere Familie zu gestalten. Wir schaffen Atmophäre, und wir haben dabei einen großen Gestaltungsspielraum. Es liegt an uns, ob es bei uns eine Atmosphäre der Geborgenheit und des Wohlwollens gibt, eine ruhige Atmosphäre, die gut auf das Schlafengehen einstimmt.
Fragen für das Paargespräch
- Wie empfinden wir Eltern die Abende mit den Kindern?
- Was lieben unsere Kinder an unserer Abendgestaltung besonders?
- Gibt es einen Punkt, den wir gerne ändern oder einführen würden?
- Wie können wir eine ruhige, entspannte Atmosphäre am Abend schaffen bzw. begünstigen?
- Wie teilen wir uns im Ehe-Team das Niederlegen auf?