Einschlafritual auf „christlich“: das Abendgebet

Je länger ich meinen Weg mit Gott gehe, desto mehr fällt mir auf, wie sehr unsere christlichen Glaubenspraktiken der Grundsehnsucht und der Grundverfasstheit des Menschen entsprechen. Es gibt unzählige Beispiele. Eins davon ist, ein „Einschlafritual“ zu haben. Dies wird besonders für Kinder sehr empfohlen. Für uns Erwachsene gilt es aber, denke ich, genauso. Ins Christliche übersetzt geht es also – vereinfacht gesagt - ums Abendgebet.

 

Jeden Tag dasselbe: „Danke, Bitte, Verzeih“

Ja, unsere Kinder haben meinem Mann und mir wirklich sehr geholfen, dass es ein unumstößliches Ritual wird: das gemeinsame Abendgebet. Dafür sind wir sehr dankbar. Denn nicht nur die Kinder, sondern auch wir Eltern profitieren davon. Dabei singen wir Teile der Vesper und beten danach frei nach dem Schema „Danke, Bitte, Verzeih“.

Am Schönsten ist das, wenn auch noch bisschen gekuschelt wird dabei.

„Danke für diesen Tag“

- so geht es meistens los und erinnert mich an den Trend, „Dankbarkeitstagebücher“ zu schreiben oder sich einfach der vielen Dinge bewusst zu werden, für die man dankbar sein kann. Ist es nicht schön, dass es hier bei uns Christen nicht nur um ein „Überlegen“ (ohne Gegenüber) geht, sondern um ein Gespräch? Und dass der, der uns zuhört, niemand geringeres ist als Gott, der Allmächtige, unser Schöpfer und Vater? Fast unglaublich! Oder fast zu schön, um wahr zu sein, aber eben doch wahr.

Das „Danke für diesen Tag“ öffnet dann bereits den Blick und das Herz.

Es ist und war ein Geschenk, überhaupt leben zu dürfen und darüber hinaus unzählige besondere Momente und Erlebnisse gehabt zu haben. Es ist Übungssache und schult das innere Auge für das Gute und Schöne. Das schafft Zufriedenheit. Denn das ist noch so eine Sache am christlichen Glauben: da, wo wir gerufen sind, „großherzig“ zu sein -  z.B. Danke zu sagen -  da sind am Schluss doch wieder wir selbst die Beschenkten.

Bitte - das „Ach unter jedem Dach“ abgeben

Ja, es gibt sie, die kleinen und großen Herausforderungen, die unerfüllten Sehnsüchte und Vorstellungen vom gelungenen Leben. „Das Ach unter jedem Dach“ - also das, was uns als Familie fordert aber auch die anvertrauten Sorgen und das allgemeine Leid in der Welt. Wie wunderbar, es „abgeben“ zu können und zu wissen, dadurch bereits einen wesentlichen Unterschied machen zu können. Nach einem so intensiven Tag erleben wir einen der weltveränderndsten (!) Momente überhaupt. Und wie wunderbar zu erleben, dass unser Gebet immer wieder erhört wird, dass sich Dinge ändern können.

Verzeih - die Kraft des Vergebens

Das Gesetz des Vergebens finden wir im Vater Unser: „…und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Hier fällt mir auch immer die Geschichte aus Matthäus 18 insbesondere 32-35 ein:

„Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Diener! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich so angefleht hast. Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte? Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe. Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt.“

Das ist so eine krasse Bibelstelle und passt doch gar nicht zu unserem barmherzigen Gott, habe ich immer gedacht. Bis ich begriffen habe, dass es durch die Entscheidung, nicht zu vergeben, so kommen muss, dass die Folterknechte - und so Ärger, Groll oder sogar Hass und Verbitterung - uns in ihrer Gewalt haben.

Wir begeben uns selbst in ein inneres Gefängnis, wenn wir nicht verzeihen.

Denn ja, wir haben die Pflicht, IMMER zu vergeben. Auch, wenn der andere uneinsichtig und ohne Reue ist. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum. Denn auch Jesus am Kreuz vergibt den Pharisäern. Nicht, als es die Pharisäer reut und sie erkennen, dass sie Unrecht tun. Nein, sondern genau da, wo sie Jesus verhöhnen und Spott mit ihm treiben.

Im Abendgebet bitten wir also erstmal um Verzeihung - und entschuldigen uns nicht!

Das nur als kleiner Hinweis, weil wir selbst darauf aufmerksam gemacht wurden. Sich zu entschuldigen ist eigentlich eine schräge und vor allem unmögliche Sache. Ich kann mir nicht die Schuld nehmen und so lohnt es sich, auch auf die richtige Wortwahl zu achten und auf das- so empfinde ich es - anspruchsvolle „bitte verzeih“ umzusteigen.

Verzeihen

Und weil dieser Punkt mir besonders wichtig erscheint und eben auf der anderen Seite das Vergeben dazugehört noch eine Anleitung:

•       Gott bitten, mir die Gnade zu geben, verzeihen zu können. Und ihn auch bitten mir zu zeigen, wem ich vergeben muss. Das ist wichtig, da wir durch die Erbsünde blockiert sind und Gottes Hilfe brauchen, um zu vergeben, wie er uns vergibt.

•       Bewusster Akt des Gebetes: im Gebet laut aussprechen: „ich vergebe…so-und-so…, im Namen Jesu…für…das-und-das!“

Wichtig ist die Entscheidung - nicht die Gefühle!

Die Verletzung kommt vielleicht immer wieder hoch und in vielen Fällen ist auch nach dem Vergeben emotional noch immer etwas da oder eben ein „Knacks“ in der Beziehung. Das muss aber nicht so sein und es gibt Gott sei Dank Fälle, wo eine Beziehung trotz Verletzung und nötiger Vergebung sogar besser wird!

Hier, finde ich, hilft der Vergleich mit dem Körper: wie wir uns am Leib verletzen können, kann eben auch die Seele verletzt werden und es brennt oder schneidet sich etwas in sie ein. Vielleicht wird die Narbe immer da sein und ich bekomme das Ganze nie weg aus meinen Gedanken. Das ist okay und ich muss auch nicht, wenn ich z.B. von jemanden betrogen werde, weiterhin mit ihm zusammenarbeiten. Ich habe vielleicht kein Bedürfnis, Kontakt zu haben, bin aber trotzdem fähig, mich bei einer möglichen Begegnung „korrekt“ zu verhalten. Das Verhältnis muss korrekt sein aber nicht kuschlig oder mit positiven und unangefochten Emotionen.

Bei der Familie kommt man nicht „aus“ und es bedarf vielleicht einiger Cremes und Pflaster, damit alles etwas schneller heilt und auch noch Narbenpflege.

Kurz und gut: Der Herr wird nicht müde zu verzeihen, wir dürfen es daher auch nicht werden und uns klarmachen, dass es sich um eine Willensentscheidung und nichts Emotionales handelt.

Sich selbst vergeben UND sich von Gott beschenken lassen

Schon wieder nicht so reagiert mit meinem lieben Ehemann, wie ich mir das zigfach vorgenommen habe? Heute doch nochmal die Kinder angeschrien, statt geduldig zu bleiben? Ja, ja, ja, morgen ist ein neuer Tag, an dem wir es besser machen wollen.

Uns fällt es oft besonders schwer, uns selbst zu vergeben.

Für heute ist es wichtig, auch diese Wunden dem wohlwollenden Blick Gottes hinzuhalten und auch hier um SEIN Vergeben zu bitten. Ende März brachte Papst Franziskus einmal den Vergleich mit Lazarus, was unsere Fehler und toten Stellen anbelangt: wie er es mit Lazarus getan hat, so ruft auch Jesus uns heraus und bewirkt, dass diese toten Stellen sich wandeln und lebendig werden. Ein schönes Bild, oder?

Fazit

So freue ich mich einfach bei dem Gedanken, dass es beim Abendritual „Familiengebet“ um so viel mehr geht, als nur ein „besseres Einschlafen“ oder „vertraute Routine“.

Hier geht es um Zeit mit Gott, um ein Gespräch mit ihm, durch das mein Blick auf das Gelungene geschult wird und ich dankbar werde. Ich kann all die Schwere und Last in seine Hände legen und um Verzeihung bitten für die vielen Dinge, die leider nicht so gut gelaufen sind. Aber statt dann entmutigt zu sein werde ich neu gestärkt: Denn Jesus hilft mir und macht mich (und meine toten Stellen) lebendig. Am Abend, wenn ich nur noch halbvital und müde bin, auf jeden Fall eine sehr gute Aussicht ;)

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