„Kinder an der Macht“ – stimmt das?
In seinem Buch „Kinder an der Macht“ kritisiert David Eberhard die allzu liberale Erziehung. Fazit: Kinder halten mehr aus, als ihnen zugetraut wird.
„Kinder an der Macht“: Fehlt Kindern heute die Autorität?
Kinder akzeptieren keine Autoritätspersonen mehr, Kinder entwickeln ein übertriebenes Selbstbewusstsein, das auf einer aufgeweichten, antiautoritären Erziehung fußt, die sich jeglicher Verantwortung für die Führung von Kindern entziehen will und sie fern jeder Realität aufwachsen lässt. Der Vorwurf des schwedischen Psychiaters David Eberhard in seinem Buch „Kinder an der Macht“ trifft jene, die Kinder heutzutage wie kleine Erwachsene behandeln, ohne diese auf Konsequenzen stoßen zu lassen.
Er ist Psychiater, spezialisiert auf Kinder. Er ist aber auch Vater von sechs Kindern. In seinem Buch kommen sowohl die Fachmeinung als auch seine persönlichen Erfahrungen zu Wort. Und das macht ihn authentisch. Authentizität ist auch etwas, das David Eberhard in seinem Buch „Kinder an der Macht. Die monströsen Auswüchse liberaler Erziehung“ von uns Eltern verlangt. Dabei spart er nicht mit Kritik, weder an der elterlichen Erziehung noch an den Experten. Besonders die Meinung der Spezialisten nimmt er in seinem Buch ins Visier und macht sie letztlich dafür verantwortlich, dass die heutige Erziehung seiner Meinung nach an Kontur verloren hat. Schuld daran ist, dass den Eltern permanent ein schlechtes Gewissen eingetrichtert sowie Angst vermittelt wird, Kinder durch Konflikte oder Kritik zu traumatisieren.
Das Wichtigste sind die Werte
Überbehütung ist daher eine Folge, die er als gedankenlos und gefährlich darstellt. Kinder würden dadurch nicht mehr auf das Leben und seine Schwierigkeiten vorbereitet, sondern seien es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen und keinerlei Hindernisse überwinden zu müssen. Im Gegenteil, Kindern werde die Rolle zuteil, Entscheidungen zu treffen, zu denen sie seiner Meinung nach noch gar nicht in der Lage seien oder sein sollten: sie legen fest, was gegessen wird oder wohin man auf Urlaub fährt. Dabei ist Eberhards Ansicht nach das Wichtigste in der Erziehung, Werte zu vermitteln. Das Beibringen von Tischmanieren und gutem Benehmen sei beispielsweise Aufgabe der Eltern, alles andere entziehe sich ohnehin ihrem Einfluss. Denn einen Menschen mache der Mix aus eigener Persönlichkeit und persönlichem Umfeld aus, Erziehung und Genetik seien nur Zutaten.
Kinder haben heute mehr Freiheiten
Vieles von dem, was David Eberhard schreibt, ist nachvollziehbar. Er hat Recht, dass die heutige Erziehung im Vergleich zu früheren Generationen sicher weicher und konfliktscheuer geworden ist, den Kindern mehr Freiheiten zugestanden werden, was ihren eigenen Willen betrifft. Jedoch wirkt seine Kritik unbarmherzig und lässt manchmal keinen Raum für das, was dazwischen liegt. Ich kenne die Situation in Schweden oder Amerika – Orte im Fokus seiner Beobachtungen – nicht, aber auf den Zustand der Kindererziehung in meinem Umfeld wirken seine Aussagen etwas extrem dargestellt.
Kritik darf sein
Dennoch regt das Buch zum Nachdenken an. Vor allem folgende Punkte, die auf den ersten Blick so selbstverständlich erscheinen, sind eine genauere Überlegung wert:
- Viele Eltern ziehen ein freundschaftliches Verhältnis zu ihren Kindern einem Verhältnis wie zwischen Meister und Schüler vor; dabei seien es die Eltern, die mehr Erfahrung in die Beziehung einbringen und diese an die Kinder weitergeben sollten.
- Kinder werden nicht traumatisiert, wenn sie mit Kritik oder Schwierigkeiten konfrontiert werden. Es sei Aufgabe der Eltern, ihren Nachwuchs auf ein Leben vorzubereiten, das einem nicht alles in den Schoß legt, sondern das mitunter auch Arbeit einfordert, um Ziele zu erreichen.
- Es sollte ein Gleichgewicht herrschen zwischen Dingen, die einem Kind zuzutrauen sind und Entscheidungen, die es überfordern. Der Widerspruch zwischen Überbehütung und fälschlich zugesprochener Kompetenz sei in den letzten Jahren gewachsen.
Fazit: Kinder halten mehr aus, als ihnen zugetraut wird und verkraften es, bei Notwendigkeit auch zurechtgewiesen zu werden oder den eigenen Willen nicht zu bekommen. Eine fehlerfreie Erziehung gibt es nicht, umso mehr wird den Eltern Mut gemacht, mit mehr Selbstvertrauen und Bauchgefühl an diese Aufgabe heranzugehen, ohne Ratgebern und Expertenmeinungen zu viel Gewicht zu verleihen.