Warum es heikle Kinder (eigentlich) gar nicht gibt
Eltern sind Mitschuld daran, wenn ihre Kinder heikel sind. Denn heikel ist, bei allem Wohlwollen, dann eben doch nicht der kritisch Wählende, sondern derjenige, der immer dasselbe wählt, weil er den Rest gar nicht kennt und überhaupt gar nicht probieren mag.
Der Sprachvergleich macht oft sicher. Es ist nämlich gar nicht so einfach im Englischen eine passende Entsprechung für „heikel“ zu finden. Sucht man „heikel“, dann kommt man auf „tricky“, also zu einem ganz anderen Wortsinn. Das Heikle ist also hier dasjenige, das besonders „schwierig“ und herausfordernd ist. Näher kommt man dann schon mit den Entsprechungen „choosy“ oder „picky“. Der „Heikle“ wählt also in Wahrheit nur aus, er entscheidet sich. Er entscheidet sich dafür eine Speise zu essen und die andere links liegen zu lassen.
Auswählen kann man nur aus dem, das man kennt
Aus dem eher abwertenden „heikel“ wird damit etwas völlig Anderes. Dem Heiklen wird damit gar zugeschrieben, dass er einfach nur kritisch auswählt, quasi handverlesen entscheidet, was er mag und was nicht. Interessant wird es, wenn man sich an dieser Feststellung mit dem Thema Geschmack annähert und dazu einen Vergleich mit dem Formatradio bemüht. Auch dort gibt man den Hörern oftmals die Option, ihre liebsten Hits auszuwählen.
Dass diese Auswahl dann doch immer nach Formatradio klingt und absolut glattgebürstet daherkommt hat einen einzigen logischen Grund: Die Hörer wählen aus einem vorgefertigen Pool an Möglichkeiten aus. Besser gesagt: Sie wählen aus dem aus, das sie bereits kennen und das ihnen gut vertraut ist. Das „Außerhalb“; das Unbekannte und somit auch gar nicht Wünschbare findet nicht statt.
Was heißt das für uns Eltern?
Daraus leite ich eine provokante These ab: Eltern sind Mitschuld daran, wenn ihre Kinder heikel sind. Denn heikel ist, bei allem Wohlwollen, dann eben doch nicht der kritisch Wählende, sondern derjenige, der immer dasselbe wählt, weil er den Rest gar nicht kennt und überhaupt gar nicht probieren mag. Er hat eben nicht den erlesenen Geschmack, wie könnte das ein Kind auch haben, sondern den „antrainierten“ Geschmack, der eben zu wenig „trainiert“ und herausgefordert wurde.
Was ist „antrainiert“ und was angeboren?
Man kann natürlich lange darüber diskutieren, was „antrainiert“ und was angeboren ist. Als Kulturwissenschaftler neige ich dazu zu sagen, dass dem „Antrainierten“ ein gehöriger Prozentsatz zugestanden werden sollte. Dass es denkbar ist, dass einem Kind etwas „von Natur aus“ nicht schmeckt soll dabei nicht weggeredet werden.
Aber es hilft oft auch, wenn es etwas einfach probiert und isst. Denn mit diesem probieren und essen kommt die Gewöhnung, gewöhnt sich das Kind die feinen geschmacklichen Nuancen und Unterscheidungsmöglichkeiten der Geschmäcker an.
Man kennt das schließlich von sich selbst. Dinge, die einem zuvor wenig bis gar nicht geschmeckt haben, munden einem nach mehrmaligen Versuchen ganz wunderbar und man mag sich fortan gar nicht mehr vorstellen, ohne ebendiese Gerichte auszukommen.
Geschmack und Vorlieben ändern sich
Auch das ist flott erklärt. Man verändert sich. Der eigene Geschmack verändert sich, obgleich es gewisse Konstanten geben mag. Aber der Geschmack verfeinert sich, erkennt Unterschiede wo vorher keine waren. Somit beginnt man Neues zu schätzen. Damit gewinnt der Geschmack an Breite. Damit zu beginnen das zu unterstützen kann gar nicht früh genug beginnen. Natürlich ohne Zwang. Es soll auch kein Versuchslabor sein, um besagte Thesen zu belegen. Aber Abwechslung sollte schon am Speiseplan stehen – verbunden mit der Forderung an die Kinder, es doch „wenigstens einmal zu probieren und zu kosten“.
Ich bin sicher, dadurch werden Kinder nicht „heikel“, sondern „picky“. Sie wählen dann zielsicher aus und wissen ganz genau, was ihnen schmeckt und was nicht. Ihr Urteil fußt dann nicht mehr auf Vorurteilen und Unwissen, sondern auf einem Bewusstsein des eigenen Geschmacks, der sich über die Jahre noch weiter verfeinern und ausdifferenzieren wird. Damit geht dann auch, und das ist gut so, eine gehörige Portion Abenteuerlust einher das zu probieren, was man bisher noch nicht gewagt hat.