Kinder brauchen Eltern, die ihnen Mut machen
Auf einen Baum klettern – so hoch hinauf, wie es irgendwie geht. In einem Streit Position beziehen und seine Meinung vertreten – auch wenn das unpopulär ist. Vor der ganzen Klasse ein Referat halten. Auch der Alltag eines Kindes birgt unzählige derartige Situationen, in denen die Kleinen Mut beweisen müssen. Manche tun sich dabei leicht. Andere schwer. Aber warum ist das so? Kann man Mutig-Sein lernen? Und: Welche Rolle kann dabei der Glaube spielen? Ein Gespräch mit Psychotherapeutin und Coach Brigitte Ettl.
Für Mack, die kleine Schildkröte aus dem amerikanischen Kinderbuch „Yertle, the turtle“ (Dr. Seuss, HarperCollins Publishers) ist das Leben eigentlich perfekt: Er lebt an einem wunderschönen Teich und hat viele Freunde rund um sich herum. Doch Yertle, der ungerechte – und man muss schon sagen größenwahnsinnige – König der Schildkröten macht ihm das Leben schwer. Nur sein eigenes Wohlbefinden hat er im Kopf, wie es seinen Untertanen geht, interessiert ihn nicht.
Nicht anders ist es jedenfalls zu erklären, dass er eines Tages befindet, einen Thron zu brauchen, der höher ist, als der Stein auf dem er bisher gesessen ist. Kurzerhand befiehlt er seinen Untertanen sich übereinander zu stellen und so einen Turm zu bauen an dessen Spitze natürlich er sitzt.
Die Schildkröten sind folgsam und erfüllen den Wunsch des Königs. Doch es kommt wie es kommen muss: Yertle ist unmäßig und treibt immer mehr Schildkröten für seinen Thron zusammen. Immer höher soll er werden, immer weiter will er sehen können. Und die Schildkröten? Die machen mit. Auch wenn sie keinen Spaß daran haben.
Doch schließlich, als es den Schildkröten schon eigentlich viel zu viel ist, meldet sich der kleine Mack ganz unten im Turm zu Wort: Entschuldigung sagt er, sinngemäß, das kann doch nicht ihr Ernst sein, Majestät, wir Schildkröten hier im Turm leiden, die Panzer derer, die ganz unten sind, drohen unter der Last auseinanderzubrechen. Und die Reaktion Yertles auf diese mutige Kritik? Sie ist eines ungerechten, größenwahnsinnigen Königs würdig: Er brüllt Mack an, seinen Mund zu halten, denn nur er, der König, wisse was das Richtige ist.
Mut ist die Voraussetzung für ein buntes, werte-volles Leben
Aber Mack lässt sich nicht einschüchtern, meldet sich immer wieder zu Wort – kontert seinem König mutig und unerschrocken. Und am Ende kommt ihm – und den anderen Schildkröten – der Zufall zu Hilfe, den ungeliebten König loszuwerden und endlich wieder so zu leben, wie sie es möchten. Das Glück des Mutigen, möchte man sagen.
Ein buntes, werte-volles Leben
Geschichten wie die von Mack zeigen, dass es sich lohnt, mutig zu sein, im Alltag weniger Verzagtheit aufkommen zu lassen und sich Herausforderungen zu stellen. „Mut ist die Voraussetzung für ein buntes, werte-volles Leben“, sagt dazu Brigitte Ettl, Psychotherapeutin und Coach: „Nur wenn ich mir immer wieder etwas zutrauen oder den Ermutigungen anderer Menschen Folge leisten kann, erweitere ich meinen Horizont und kann so immer wieder neue Aufgaben, neue Herausforderungen annehmen. Dadurch wird mein Tun für mich und für andere sinnvoll und befriedigend.“
Mut braucht Lob
Mutig zu sein, das schlummere im Grunde in jedem von uns – auch in schüchternen, zurückhaltenden Menschen. Mutig zu sein, kann man lernen – Erwachsene, aber vor allem natürlich auch Kinder.
Eltern könnten hier eine Menge tun, um ihren Kindern bei der Entwicklung zu helfen. „Der Weg aus der Angst Richtung Mut braucht viele kleine, gute Erfahrungen“, sagt Brigitte Ettl. Kinder seien in ihrem Wesen neugierig und hätten ein klares Interesse daran und den eindeutigen Wunsch, Schritt für Schritt ihre Möglichkeiten und ihren Lebensraum zu vergrößern. „Wenn sie dabei angeleitet und ermutigt werden, so werden ihnen auch in Folge größere Schritte gelingen.“
Mut braucht auch immer eine ordentliche Portion Lob.
Und, so Brigitte Ettl, Mut brauche auch immer eine ordentliche Portion Lob. „Zuerst natürlich von anderen – das sind ganz am Anfang wohl Mama, Papa.“ Denn eines sei klar: „Mutige Kinder brauchen Mutmacher-Eltern. Wenn Mutter und Vater mit einem Grundvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten den Alltag gestalten, dann erleben die Kinder von Beginn an, dass der Lebensweg zwar immer wieder Hürden und Hindernisse bereithält, dass diese aber bewältigt werden können.“ Das beginne schon beim Erlernen neuer Fähigkeiten, beim Ansprechen und Lösen von Konflikten oder beim „Erobern“ neuer Lebensräume, wenn also zum Beispiel die Urlaube auch immer wieder eine „Fahrt ins Blaue“ sind, und keiner weiß, was die Familie am Zielort konkret erwartet.
Mutige Kinder brauchen Mutmacher-Eltern.
Auch Feedback von Oma, Opa, der Kindergärtnerin, der Lehrerin oder von Freunden, dass man etwas gut gemacht hat, stärke das Vertrauen in sich selbst und den Mut das zu tun, was man für gut und richtig hält. „Und irgendwann beziehungsweise in bestimmten Situationen ist es schließlich auch wichtig, sich selbst ein Lob auszusprechen“, sagt Brigitte Ettl: „Manche innere Mauer, die übersprungen wird, sieht ja niemand.“
Übermut tut gar nicht gut
So wichtig es aber ist, Kinder zum mutig sein zu erziehen, sie in ihrem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken, so wichtig ist es auch, ihnen den Unterschied zwischen Mut und Übermut beizubringen. „Selbstüberschätzung kann mitunter gefährlich werden“, sagt dazu Brigitte Ettl: „Bergretter können beispielsweise viele Lieder davon singen. Auch im beruflichen Bereich hat jeder schon Kolleginnen und Kollegen oder auch Vorgesetzte erlebt, die besser auf eine Position mit weniger Verantwortung gepasst hätten.“ Im Zusammenhang mit Kindern sei es wichtig, schon früh eine gute Balance zwischen Ermutigung und realistischen Grenzen zu finden.
Mit meinem Gott überspringe ich Mauern.
„Niemand lässt einen Schulanfänger unbegleitet in die Schule gehen, hier gibt es zuerst über einen längeren Zeitraum die fürsorgliche Anleitung – und dann wird der eigenverantwortliche Aktionsradius Schritt für Schritt größer.“
Der Glaube gibt Sicherheit
Und der Glaube – welche Rolle kann der bei der Erziehung zu mehr Mut, zu mehr Zuversicht und weniger Verzagtheit spielen? „Wenn ich mich in einer stabilen, von einem Grundgefühl der Liebe geprägten Gottesbeziehung geborgen erlebe, so ist dies eine Quelle der Sicherheit – nicht umsonst gibt es den Satz ,Mit meinem Gott überspringe ich Mauern.‘“, sagt Brigitte Ettl: „Das bedeutet aber auch, dass ich Fehler machen darf, dass es immer wieder einen neuen Anlauf geben kann. Und es bedeutet, dass ich auch in diese Richtung um Unterstützung bitten darf. Wenn Kinder das erleben, werden auch sie im Wissen, ja eigentlich mehr im Fühlen dieser großen Geborgenheit, mit Mut und Gott-Vertrauen Schritt für Schritt in die Welt hineingehen.“