Mein Kind erzählt mir nichts

Es gibt Kinder, die reden und reden, wissen alles von jedem und als Elternteil wünscht man sich einfach nur mal einen Punkt am Ende des Satzes. Und dann gibt es die Kinder, denen man alles aus der Nase ziehen muss und wo man die mühsam erarbeiteten Bruchstücke, die man erfährt, selbst - hoffentlich korrekt - zusammenbauen muss. Gibt’s da Abhilfe?

Man stellt Fragen, hat Interesse - und erfährt doch nichts von und über sein Kind. Das kann ganz schön frustrierend sein. Das man sich in der Pubertät oft mit einsilbigen Antworten oder einem Grunzen zufrieden geben muss, ist vielen bekannt. Aber auch bei kleinen Kindern kann es manchmal ganz schön knifflig sein, Auskünfte zu bekommen.

Die richtigen Fragen stellen

Bist du schon einmal von einer längeren Reise zurückgekommen und wurdest gefragt, wie der Urlaub denn war? Puh, wo soll man bei der Fülle an Eindrücken denn anfangen zu erzählen? „Schön!“, sagt man dann erstmal. Erst mit der Zeit kristallisieren sich einzelne Erinnerungen heraus, die man konkret erzählen kann. Bei Kindern ist das nach einem langen Tag im Kindergarten oder der Schule nicht anders. „Gut“, oder „Wie immer!“, hört man auf den Fragen-Klassiker: „Wie war’s?“

Es hilft Fragen klein und konkret zu halten:

  • Was gab es denn heute zu essen?
  • Habt ihr heute etwas gesungen? Was denn?
  • Ward ihr im Garten?
  • Mit wem hast du heute gespielt?
  • Ist heute etwas Lustiges passiert?


Der richtige Zeitpunkt zum Reden

Vielleicht hat man mit solchen Fragen Glück. Vielleicht aber auch nicht. Vor allem nicht direkt nach Schule oder Kindergarten. Das Kind hat viele Eindrücke erlebt und jetzt darf es auch mal Zeit haben, um zur Ruhe zu kommen und wieder Kraft zu tanken. Beobachtet euer Kind und schaut, was es braucht: Möchte es sich zurückziehen und in Ruhe spielen? Braucht es Kuscheleinheiten von euch und vielleicht eine Vorlese-Einheit zum Runter kommen? Hilft es, in einer Schaukel die Erlebnisse des Tages zu sortieren? Oder sollte vor allem möglichst schnell ein Essen am Tisch stehen, damit das Kind neue Energie bekommt?

Auf die gleichen Fragen kann man ganz andere Antworten bekommen, wenn das Kind zuvor für sich Möglichkeit bekommt abzuschalten und Abstand zum Erlebten zu gewinnen.
Das Redefenster Manchmal geht es um mehr, als einfach nur einen kurzen Bericht über den Tag. Wenn wir mit dem Kind oder Jugendlichen etwas Wichtiges besprechen wollen oder auch einfach tiefe Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt bekommen wollen, dann braucht es nicht nur den richtigen - entspannten - Zeitpunkt, sondern auch das richtige Setting.

Auch hier gilt es zu beobachten:

Wann kann sich mein Kind öffnen? Wann ist es aufnahmefähig?

Vielleicht kennt ihr auch diesen Klassiker: Den ganzen Tag erzählt das Kind nichts, und wenn es dann abends im Bett liegt und man nur schnell gute Nacht sagen möchte, dann werden Geschichten erzählt, scheinbar zusammenhanglose Fragen gestellt oder urplötzlich Fragen beantwortet, die man Stunden zuvor gestellt hat. Hier hat wohl die Dunkelheit und die Ruhe ein „Redefenster“ beim Kind geöffnet. Freuen wir uns darüber und nutzen wir diese Zeit, anstatt uns über den nach hinten verschobenen Feierabend zu ärgern!

Redefenster finden

Bei manchen Menschen wird ein Redefenster geöffnet, wenn man nebenher einer körperlichen Arbeit nachgehen kann und die Hände beschäftigt sind. Der Vorteil eines Gespräches während des Kochens, der Gartenarbeit oder dem Erledigen der Bügelwäsche, ist, dass Gesprächspausen nicht so negativ auffallen. Das kann sehr entlastend sein.

Ähnliches gilt fürs Spazieren gehen oder gemeinsame Autofahren - auch das können tolle Redefenster sein. Wenn du also das nächste Mal dein Kind zum Sportkurs führst, lass die Musik gerne abgedreht. Vielleicht nutzt das Kind den Moment der Zweisamkeit.

Ich verschiebe viele Dinge, die ich den Kindern sagen möchte, auf die Autofahrten, weil es sowohl mir, als auch den Kindern in dem Setting leichter fällt, bei der Sache zu bleiben und gut zuzuhören.

Für manche sind diese Nebenher-Situationen aber nichts zum Reden und sie wünschen sich wirklich eine gesetzte Gesprächssituation, wie wir es bei Erwachsenen vom Kaffeeklatsch kennen.

Da kann es helfen, nach dem Essen noch gemeinsam sitzen zu bleiben und das Saubermachen der Küche ein wenig nach hinten zu verschieben.

Ist das überhaupt wichtig?

Klingt nach viel Aufwand, um zu erfahren, dass mein Kind heute in der Pause mit Paul und Klemens Fußball gespielt hat und Leon ihnen dann den Ball weggenommen hat, kurz bevor die Pause zu Ende war?


Natürlich müssen wir nicht alles wissen, was unser Kind erlebt und auch nicht all seine Gedanken kennen. Aber wir wollen ganz sicherlich, dass unser Kind mit wichtigen Themen zu uns kommt und sich uns anvertraut. Und daher müssen wir dafür die Grundlagen schaffen:

  1. Mit dem Kind üben über seine Erlebnisse und seine Gefühle zu sprechen - und es ihm auch vorleben.
  2. Regelmäßig Gelegenheiten schaffen, wo man wirklich ein offenes Ohr für sein Kind hat.
  3. Das Kind konsequent ernst nehmen in seinen Gefühlen und seinem Erleben. Wenn wir den kleinen Erlebnisse der Kinder keine Aufmerksamkeit schenken, ist es fraglich, ob sie dann mit den großen Erlebnissen überhaupt noch zu uns kommen. Es ist unsere Entscheidung, ob wir sagen: „Okay, Leon hat den Ball weggenommen - aber die Pause war doch eh schon aus.“ oder: „Leon hat den Ball weggenommen?“ (Oft reicht aktives Zuhören, damit das Kind weiter erzählt und zum Kern der Sache kommt, die es bewegt.)

 

Mein persönlicher Kardinalfehler

Selbstverständlich schreibt sich das oft leichter, als es sich im Alltag lebt. Wir sind Eltern und keine perfekt ausgebildeten Pädagog*innen oder Kommunikations-Trainer*innen. Das ist okay. Aber auch Eltern dürfen sich Ziele setzen und in kleinen Schritten den Umgang miteinander verbessern.

Ich mache in der Kommunikation mit meinen Kindern immer wieder den gleichen Fehler.

Ich sitze am Computer, stehe in der Küche oder arbeite im Garten, eines meiner Kinder erzählt mir etwas, ich höre zu, und wenn die Erzählung oder das Gespräch zu Ende ist, sage ich so etwas wie: „Es gibt gleich Essen. Kannst du bitte den Tisch decken?“, „Hast du heute schon Klavier geübt?“, „Läuft drinnen eigentlich immer noch der Fernseher? Dreh ihn bitte ab.“, oder Ähnliches. „Wäre ich bloß nicht gekommen!“ erwidert mir dann mein Kind gerne. Ich will aber, dass mein Kind kommt und mir Erlebnisse oder Gedanken erzählt.

Also heißt es für mich: Aufpassen, dass ich meine Kinder nicht jedes Mal, wenn sie zu mir kommen, mit (unangenehmen) Pflichten und Bitten konfrontiere. Auch wenn das für mich so praktischer wäre.

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