Von Rabeneltern können wir das Loslassen lernen

Als Mama kämpfe ich mit dem Loslassen. Der nächste Schritt steht an: ein neuer weiter Schulweg in die große Stadt. Auch hier sind wieder Grenzen abzustecken, Mut zuzusprechen und zu lernen, einen Schritt zurückzutreten und loszulassen.

Es gibt viele Bezeichnungen für Eltern. Gerade in den vergangen Jahren hat man viele Stile der Erziehung und Titel für Eltern gefunden. Hier ein kleiner Auszug aus dem Eltern-Arten-Dschungel:

  • Es gibt die Helikoptereltern und die Glucken-Mamis, die ihre Kinder auf Schritt und Tritt begleiten und ihre Kinder kaum aus den Augen lassen,
  • die Angeber-Eltern, die für ihre Kinder jeden erdenklichen Kurs buchen und sie in Musik-, Sport und Kunstunterricht stecken, ob diese wollen und Talent haben oder nicht,
  • die Best-Friends-Eltern, die bei jedem Event Feuer und Flamme sind und ihren Kindern alles erlauben,
  • die Laissez-Faire-Eltern, denen Erziehung ein Fremdwort ist und vor deren Kindern man an Spielplätzen gerne die Flucht ergreift,
  • die Rabeneltern, die kaum Zeit für ihre Kinder haben oder sich einfach wenig für sie interessieren,
  • die Experten-Eltern, die ihr Wissen über Entwicklungsphasen und Charaktereigenschaften, Frühförderung und Begabungsentfaltung sowie jegliche Kinderkrankheiten und Erziehungstipps wie ein wandelndes Lexikon mit der Welt teilen und ihre Kinder immer artgerecht erziehen,
  • und dann alle anderen Typen, die vielleicht noch nicht definiert oder bereits verpönt sind.

Stellt sich unter all den Erziehungsstilen und Elterntypen die große Frage: Welche Eltern sind wir? Wenn ich ganz ehrlich bin, dann sehe ich mich und meinen Mann nicht typisch in einem Stil, aber ich entdecke uns in verschiedenen Situationen in den verschiedensten Rollen und somit auch in den unterschiedlichsten Stilen.

 

Welche Eltern wollen wir sein?

Mein Mann und ich haben uns einmal bewusst zusammengesetzt und uns gefragt: Was wollen wir unseren Kindern mitgeben? Was sollen sie können, wissen und verinnerlicht haben, wenn sie unser Zuhause verlassen? Womit können wir das, was wir ihnen mitgeben wollen, eigentlich in ihnen verinnerlichen?

Wenn die Kinder klein sind, so haben wir gemerkt, ist dies noch sehr leicht. Je älter sie werden, umso eigenständiger denken sie. Sie sind Personen mit ihren Eigenheiten, die sich in ihrer Umgebung entfalten müssen, unter unterschiedlichsten Bedingungen.

Sind Kinder schüchtern und unsicher, gilt es als Eltern, sie aufzubauen und ihnen Vertrauen in sich selbst und in andere beizubringen. Sind Kinder selbstbewusst und stark, gilt es sie zu ermutigen und zu bestärken, ihnen aber auch Feingefühl und Rücksicht zu lehren.

 

Bedingungslose Liebe ist bei älteren Kindern nicht so leicht

Wie auch immer mein Kind ist: Zuallererst muss es sich bedingungslos geliebt fühlen. Je älter unsere Kinder werden, desto mehr Reibung spüren wir aneinander.

Da ist es dann gar nicht mehr so leicht, diese bedingungslose Liebe, die ja eigentlich da ist, auch so spürbar zu vermitteln. So sind wir schon sehr herausgefordert. Für mich sind solche Phasen des Größer-Werdens immer eine Challenge. Ich habe das Glück, sehr temperamentvolle Kinder zu haben, denen es Gott sei Dank nicht an Selbstbewusstsein fehlt. Sie fordern uns als Mama und Papa immer wieder heraus, über uns hinauszuwachsen und auch immer wieder innezuhalten und zu reflektieren: Sind wir gerade auf Kurs oder läuft in unserer Eltern-Kind Beziehung etwas unrund?

Meist entdecken mein Mann und ich den Fehler oder die mögliche Ursache im gemeinsamen Gespräch und der Analyse von Situationen. Einander das Recht zuzugestehen, dem anderen die Wahrheit ungeschönt, aber liebevoll sagen zu dürfen, ist zwar manchmal schmerzvoll, aber heilsam. Hier merke ich, dass mein Mann Kritik viel besser annehmen kann als ich ?

Zurück zu: Wie wollen wir sein? Den Anspruch, perfekt zu sein, haben wir schon lange nicht mehr an uns. Aber liebevoll und authentisch, ehrlich und versöhnlich, beschützend einerseits und ermutigend andererseits, so wollen wir sein. Manchmal gelingt uns das besser, manchmal schlechter.

 

Ich kämpfe mit dem Loslassen

Und jetzt? Jetzt kämpfe ich gerade mit dem Loslassen. Mit zunehmendem Alter unserer Kinder nimmt unsere Verantwortung als Eltern ein Stück weit ab und die Selbstverantwortung unserer Kinder ein großes Stück zu. Da entdecke ich Züge der Helikoptermama in mir, die am liebsten immer an jedes Kindes Seite wäre. Mein Großer fordert seine Freiheiten und mein Vertrauen in ihn rigoros ein. Das hat er immer schon gemacht: Ich geh ab jetzt alleine in die Schule. Ich geh heute für dich einkaufen – ganz allein. Ich mache eine Radtour durch den Ort – alleine!

Mit Abmachungen und gemeinsam festgesetzten klaren Regeln zeigt er mir von sich aus, dass er das schafft. Und das erfüllt mich mit Stolz. Ein toller Kerl, auf den ich mich verlassen kann.

Und nun steht der nächste Schritt an: ein neuer weiter Schulweg in die große Stadt. Auch hier sind wieder Grenzen abzustecken, Mut zuzusprechen und lernen, einen Schritt zurückzutreten und loszulassen.

Mir ist dieser weise und wahre Spruch unlängst untergekommen: Kinder, die nichts dürfen, werden zu Erwachsenen die nichts können. Unsere Kinder wachsen mit dem Vertrauen, das wir ihnen entgegenbringen und mit den Erfahrungen, die sie selbst machen.

 

Warum Rabeneltern unsere Vorbilder sind

Bei der Greifvogelschau, die wir vor kurzem mit den Kindern besucht haben, haben wir über Rabeneltern gelernt. Der Begriff mit dem bitteren Beigeschmack ist zu Unrecht und fälschlicherweise auf Raben zurückzuführen. Raben werfen ihre Jungen sehr früh aus dem Nest, damit sie lernen, sich selbst zu versorgen. Was man lange nicht wusste: Sie bleiben verborgen in ihrer Nähe und versuchen, aus gesunder Distanz Gefahr von ihnen abzuwenden und ihre Kinder zu beschützen. Sie lehren sie Selbständigkeit und sind dennoch in greifbarer Reichweite.

Meinem Mann und mir gefiel dieses Bild. Wir haben es uns als neue Motivation mitgenommen. Also wenn ihr mich fragt, welche Eltern wir sein wollen, ist meine Antwort:
Rabeneltern.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Angelica Spießberger

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