Good mum – bad mum? Ein Plädoyer gegen das Bild der perfekten Mutter

Im Jahr 2001, vor genau 22 Jahren, als ich die Bundesbildungsanstalt für Kindergarten- und Hortpädagogik abgeschlossen hatte und meine erste Stelle als Kindergartenpädagogin antrat, verbrachte ich meine nachmittäglichen freien Stunden oft damit, von den Kindern an mich überreichte Freundschaftsbücher auszufüllen. Und da war stets diese eine Frage, die ich mit glänzenden Augen in Vorfreude beantwortete und die da lautete: „Was willst du mal werden, wenn du groß bist?“ Nachdem ich ja schon groß und im Beruf angekommen war, wurden diese Zeilen mit den Worten „Die beste  Mama der Welt!“ gefüllt.

Ich konnte es kaum erwarten selbst Mutter zu werden

Ich konnte es damals kaum erwarten, selbst in die Rolle der Mutter zu schlüpfen und träumte von einer so reichen Kinderschar, dass ich ein eigenes Fußballteam hätte gründen können. Sicher war ich mir auf jeden Fall darin, dass ich alles richtig machen und meine Kinder die glücklichsten überhaupt sein würden …

Nun, 22 Jahre später, bin ich Mutter eines 12-jährigen Sohnes und einer 9-jährigen Tochter und mir ziemlich sicher, dass ich von perfekt und „alles richtig machend“ weit entfernt bin. Das Leben und meine Kinder lehrten mich Demut. Gestern, gerade zurück von einer zweitägigen Arbeitsreise, spazierte ich mit meiner Tochter zu unserem Garten, als sie ziemlich genervt meinte:

„Mama, du bist nie da. Ich hab schon den Eindruck, ich hab imaginäre Eltern!“

Wow! Einerseits beeindruckt von der Wortgewandtheit meines Kindes, traf mich diese Aussage andererseits doch sehr. So begann ich mir - wieder einmal - Gedanken über die Qualität meines Mutter-seins zu machen. Ich war fünf Jahre lang komplett bei meinen Kindern zu Hause, habe danach mit nur 5h/Woche wieder ins Berufsleben gestartet und diese sukzessive auf 25h gesteigert, habe immer darauf geachtet, dass meine Kinder keine Schlüsselkinder sind und stets jemand für sie da war. Bin ich dennoch eine Rabenmutter, weil ich arbeite und nicht ausschließlich zu Hause bin? Oder wäre ich nicht eher eine Rabenmutter, wenn ich meinen Kindern das Bild der erwerbstätigen, selbstständigen, unabhängigen Frau vorenthalten würde? Spannend finde ich ja die Tatsache, dass es diesen Begriff der Rabenmütter in Frankreich überhaupt nicht gibt, auch kein Äquivalent dazu. Dort sind Mütter, die arbeiten, und zwar sowohl Vollzeit als auch ziemlich schnell nach der Geburt, gesellschaftlich vollkommen anerkannt. Französische Mütter, die sich ausschließlich um die Kinderbetreuung kümmern (und das nur bis zum Ende des ersten Lebensjahres des Kindes), stoßen dort meist sogar auf vollkommenes Unverständnis.

Während wir uns hier, im deutschsprachigen Mitteleuropa, also Gedanken darüber machen,

  • ob 2 ½ Jahre Karenzzeit wirklich genug sind, um die psychische Gesundheit unserer Kinder zu gewährleisten,
  • welche Schmetterlingsmassage-, Pekip- oder sonstige Eltern-Kind-Kurse wir in dieser Zeit mit unseren Sprösslingen besuchen sollen, um sie bestmöglich zu fördern,
  • ob Hipp noch reicht oder der Thermomix nicht täglich frische Baby-Bio-Menüs auf den Tisch zaubern soll und so weiter und so fort,
     

wachsen die Kinder im ebenso mitteleuropäischen Nachbarland unter komplett anderen gesellschaftlichen Normen auf wie hier und erleben französische Mütter einen absolut anderen Pool an Erwartungen und Anforderungen an ihr Tun und Lassen.

Den eigenen Mittelweg finden

Das zeigt uns ganz deutlich, dass es ein Richtig und Falsch nicht gibt und somit auch nicht „die perfekte Mutter“! Eigene Vorstellungen speisen sich aus früheren Erfahrungen, schönen wie schmerzhaften Erinnerungen und gesellschaftlichen Diskursen und je nachdem, wo man aufwächst, sind diese eben so oder ganz anders.

Was ich in diesen letzten 20 Jahren, seit dem ersten Eintrag ins Freundschaftsbuch eines Kindes, aber gelernt habe, ist, dass das Leben nicht schwarz oder weiß, nicht immer glücklich oder schrecklich ist. Meine Kinder haben das Beste in mir zum Vorschein gebracht, aber auch meine schlechtesten Seiten ans Tageslicht treten lassen. Meistens bin ich überglücklich, diese beiden wundervollen jungen Menschen zu meinem Leben zählen zu dürfen. Manches Mal spüre ich aber auch komplette Überlastung und benötige eine Auszeit für mich: Tage, an denen ich mich nicht um gefüllte Jausenboxen und erledigte Hausübungen kümmere, sondern an denen ich mich beruflich verwirkliche, erwachsene Gespräche führe oder mit meinen Freundinnen Zeit verbringe. Und auch das lehrt meinen Kindern etwas ganz grundlegend Notwendiges: Menschen, die sagen, was sie brauchen, und sich selbst so viel wert sind, ihre eigenen Töpfe zu füllen und Träume zu verwirklichen, sind auf lange Sicht zufriedener, glücklicher und eher fähig, wieder zu geben und für andere da zu sein. Das ist Leben: den eigenen Mittelweg zu finden, Erwartungen anderer bei den anderen zu belassen, Fehler zu machen, zu den eigenen Entscheidungen zu stehen, bedingungslos zu lieben – sowohl die Kinder, als auch sich selbst.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Barbara Rampl

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