„Von Rumpelstilzchen und Angsthasen“

„Jetzt stell dich nicht so an!“, „Hör endlich auf, dich so aufzuführen!“ und „Tu mal normal!“ sind Aussagen, die mit Sicherheit jede Mama schon mal getätigt, früher als Kind selbst gehört hat oder die einem im Alltag immer wieder mal unterkommen.

Wenn die eigenen Kinder ein Verhalten an den Tag legen, mit dem wir selbst gerade überfordert sind und es am liebsten sofort abstellen würden, das uns nervt oder das uns  - weil andere Personen anwesend sind – sehr peinlich ist, greifen wir gern zu bekannten Handlungsweisen, von denen wir vielleicht selbst nicht überzeugt sind.

Einige davon sind Aussagen, wie die oben genannten, andere sind Drohungen, die in „Wenn du jetzt nicht sofort damit aufhörst, dann …“-Sätze verpackt sind oder angedeutete Strafen, wie „Jetzt ist aber Schluss, dann gibt es heute eben kein Fernsehen/keine Nachspeise/keinen Besuch bei Freunden mehr!“

Wir haben alles im Griff! Oder?

Wir greifen zu solchen Mitteln, weil wir glauben, dass es das Verhalten des Kindes auf schnellstmögliche Art abstellt, denn wir wollen ja von den Menschen rund um uns als kompetente Erziehungsperson wahrgenommen werden, welche die Situation im Griff hat und dem eigenen Sprössling ein „ordentliches“ Verhalten lehrt.

Was wir damit erreichen, ist, dass das betroffene Kind das Verhalten zwar vielleicht momentan abstellt, weil es Angst vor der Konsequenz (oder vor uns) hat oder aber merkt, dass jemand anderes (in dem Fall der Erwachsene) gerade stärker ist, jedoch nicht, dass die Situation befriedigend gelöst ist.

 

Wie also „richtig“ reagieren?

Fakt ist, dass jedes Verhalten eines Menschen – egal wie alt dieser ist – auf der Erfüllung eines Bedürfnisses beruht. Ein Kind, das sich im Supermarkt auf den Boden wirft und schreit, weil es die Schokolade nicht bekommt, versucht sich durch dieses Verhalten sein Bedürfnis nach etwas Süßem, nach Lustbefriedigung oder Hungerstillen zu erfüllen. Ein Kind, dass im Krankenhaus weint und tobt, weil es nicht zur Untersuchung will, hat das Bedürfnis nach Sicherheit und körperlicher Unversehrtheit oder Schmerzvermeidung. Ein Kind, das sich morgens nicht anziehen möchte, braucht vermutlich einen sanften Start in den Tag, Ruhe und Zweisamkeit mit den Eltern oder einfach sein begonnenes Spiel zu Ende bringen.

Aber auch wenn wir nun verstehen, warum das Kind so handelt, können wir natürlich nicht immer dem nachgeben, damit Friede im Hause ist, und müssen auch nicht stets mit dem Verhalten, welches das Kind gerade an den Tag legt, einverstanden sein.Wichtig ist jedoch, diese Bedürfnisse wahrzunehmen und zu kommunizieren.

Manches Mal reicht es, wenn sie gehört, ohne gleich erfüllt zu werden.

Bei dem Kind im Supermarkt wäre zum Beispiel eine mögliche Antwort: „Ich spüre, wie frustriert und verärgert du gerade bist. Du hättest jetzt so gerne Schokolade! Braucht dein Körper dringend Süßes oder hast du einfach Hunger?“

Daraufhin lassen sich viele weitere Strategien finden, um das Bedürfnis des Kindes, um das es gerade geht, zu befriedigen. Vielleicht hilft eine Breze gegen den ersten großen Hunger, vielleicht eine Banane für die Süß-Lust, vielleicht können sie vereinbaren, genau diese Schokolade zu kaufen, um sie mitzunehmen und ganz in Ruhe nach dem Mittagessen zu verspeisen.

Bei dem Kind, das nicht zum Arzt möchte, könnte die Reaktion so ausfallen: „Ich glaube, du hast ziemlich große Angst vor der Untersuchung, kann das sein? Dir ist wichtig, dass du über deinen Körper selbst bestimmen kannst und dass du sicher bist, nicht wahr? Könnten wir vereinbaren, dass wir gemeinsam rein gehen und den Arzt nur draufschauen lassen und sobald du wieder Angst oder Schmerzen verspürst, sagst du „Stopp!“?“

Und im dritten Beispiel wäre eine mögliche Antwort: „Oh, ich sehe, dass du gerade so in dein Spiel vertieft bist und am liebsten den ganzen Vormittag damit weiter machen möchtest. Es ist so fein, am Morgen in Ruhe zu starten, nicht wahr? Ich möchte heute allerdings rechtzeitig aus dem Haus kommen, weil ich in der Arbeit viel zu tun habe, damit ich auch bis Mittag damit fertig werde. Wäre es ok, wenn du dir das Spiel heute in den Kindergarten mitnimmst?" Oder: "Was hältst du davon, wenn wir es so stehenlassen und mittags genau da gemeinsam weiter spielen?" Oder: "Können wir vereinbaren, dass du nun noch 10 Minuten weiterspielst und du dich anziehst, wenn der Wecker läutet?“

 

Bedürfnisse erkennen

Sie sehen, wenn wir beginnen, die Bedürfnisse hinter dem Verhalten zu sehen, öffnen sich plötzlich viele mögliche Lösungen und Strategien zu reagieren. Und das Beste daran: die Kinder werden dabei wirklich wahrgenommen, ihre Bedürfnisse werden gesehen und sie erhalten Worte dafür, wie sie sich fühlen. Was wir mit dieser Art der Reaktion bewirken, ist, dass Kinder lernen, auf ihre Gefühle zu achten und die eigenen Bedürfnisse dahinter wahrzunehmen. Wir helfen ihnen somit in ihrer Entwicklung, mit sich selbst in Verbindung zu sein und stärken damit gleichzeitig die Verbindung zu uns als Erziehungspersonen.

Umso öfter Kinder erleben, dass es uns wichtig ist, wie es ihnen geht und was sie brauchen, und dass wir versuchen, mit ihnen gemeinsam gute Lösungen dafür zu finden, umso seltener haben sie ein Verhalten nötig, das wir als störend oder peinlich empfinden.

Und das beste daran ist: wir schonen gleichzeitig unsere eigenen Nerven!

Wir verspüren ein unglaubliches Glücksgefühl, wenn es gelingt und dadurch auch die Beziehung zum eigenen Kind gefestigt und gestärkt wird.

Versuchen Sie es einfach mal – ich wäre gespannt auf Ihre Erfahrungen!   

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Ein Artikel von

Portraitfoto Barbara Rampl

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