Weg mit den Süßigkeiten!
Kinder essen zu viel Süßes. Und wir Eltern können alleine wenig dagegen tun. Ein zynisch-ehrlicher Erfahrungsbericht.
Wer möchte, dass sein Kind wenig bis keine Süßigkeiten isst, hat meist Gutes im Sinn. Zucker schadet den Zähnen, macht dick und liefert viele „leere“ Kalorien. Das bedeutet, er ist ein reiner Energiebringer, beinhaltet aber sonst keine wichtigen Nährstoffe, wie Vitamine, Mineralstoffe oder sekundäre Pflanzenstoffe. Und auch die „wertvolleren“ Süßigkeiten (Stichwort: „Da ist nur Birkenzucker/Kokosblütenzucker/Dattelsüße drinnen!“, „Das ist Vollkorn.“, „Mit ganz wenig Fett.“) gewöhnen unsere Kinder an den süßen Geschmack. Muss also auch nicht ständig sein.
Zum Scheitern verurteilt
So weit, so gut. Doch wer möchte, dass sein Kind wenig bis keine Süßigkeiten isst, ist nicht nur um die Gesundheit seiner Kinder besorgt. Er ist auch eines auf jeden Fall: Zum Scheitern verurteilt! Warum? Weil unsere Gesellschaft offensichtlich mittels Süßigkeiten funktioniert. Und da meine Kinder (3 und 5 Jahre) Teil der Gesellschaft sind und auch sein sollen, bekommen sie Süßigkeiten:
- Im Kindergarten: Jeder Geburtstag wird mit Torte gefeiert. Macht 23 Tortenstücke im Jahr, oft mehr, weil etwas überbleibt und am Nachmittag erneut angeboten wird. Also etwa jede 2. Woche Geburtstagstorte. Dazu die Nachspeisen nach dem Mittagessen: Neben Obst und Joghurt gibt es fix einmal pro Woche Schokolade und einmal Kuchen. Ach ja, eine süße Hauptspeise pro Woche ist auch noch drin. Und es gibt es natürlich noch weitere Gelegenheiten, die auch im Kindergarten erst durch Schokolade so richtig festlich werden: Nikolaus, Weihnachten, Ostern. Zum Fasching gibt’s Krapfen, im Sommer ein Eis. Ein ganz normaler Kindergarten halt.
- Auf der Post: Fizzers für die braven Kinder gibt es zu jedem eingeschriebenen Brief gratis dazu.
- Bei Sportkursen: Wer sich bewegt, darf auch naschen. Das ist wohl gesellschaftlicher Konsens. Oder aus welchem anderen Grund beinhalten die Kosten sowohl beim Ski-, als auch beim Eislaufkurs meiner Kinder Süßigkeiten zur Motivation und Belohnung?
- In der Kirche: Für das lange Sitzen muss man entschädigt werden und so brachte im letzten Jahr der Nikolaus nach der Sonntagsmesse ganze 250 g Schokolade pro Kind! Wenn gerade nicht Nikolaus, Weihnachten, Ostern oder Missio-Sonntag mit Pralinenverkauf (irgendjemand kauft unseren Kindern mit Garantie Pralinen) ist, findet sich oftmals ein Naps in den Taschen der betagten Kirchenbesucher, die sich so freuen, weil die Kinder da waren. Und da nicht nur die Freude, sondern auch die Backkunst der betagten Kirchenbesucher groß ist, gleicht ein Pfarrkaffee sowieso einem Besuch im Schlaraffenland.
- Den Großeltern: Der Klassiker. Gegen den haben wir wirklich rebelliert. Mit Erfolg. Jetzt gibt es keine Süßigkeiten mehr. Nur noch Palatschinken zu Mittag. Mit Nutella – bei der einen Oma. Und Topfen-Rosinen-Fülle bei der anderen Oma. Marmelade kommt dann noch oben drauf. Aber sonst gibt es keine Süßigkeiten. Nur Dinkel-Butterkekse. Und die Schokoschirmchen, die vom Christbaum übrig waren. Aber das ist ja nur einmal im Jahr. Ach, Urgroßeltern gibt’s auch noch mehrere. Die haben auch einen Christbaum mit Schirmchen. Selber essen können sie die leider nicht – wegen dem Zucker.
- Von Gästen: Leider schaffen es viele Gäste nicht mit leeren Händen zu kommen. Manche sind so nett und fragen vorher nach, was sie mitbringen dürfen. „Nichts!“, sage ich dann, „Wenn ihr etwas mitbringt, lade ich euch wieder aus!“ – „Ja, aber für die Kinder was! Was mögen sie denn?“ – „Sie räumen nicht sehr gerne auf. Tut ihnen also den Gefallen, und bringt ihnen nicht noch mehr zum Aufräumen.“ – Seufzen. „Aber was zum…“ – „NEIN! Auch keine Süßigkeiten!“ … War das zu hart? Ich möchte sie ja eigentlich in ihrem Verhalten bestärken. Also schicke ich noch eine Nachricht hinterher: „Ich bin dir wirklich dankbar fürs Nachfragen! Wir freuen uns auf euer Kommen!“
Die Liste ließe sich noch eine ganze Weile weiterführen.
„Dürfen sie eh?“
Natürlich fragen die meisten anderen Leute auch nach. „Dürfen sie eh?“, höre ich, während meine Kinder die zuckerreiche Gabe schon halb in Händen halten. Das ist wenig hilfreich.
- Sage ich Nein, kann ich oftmals die geplante Aktivität vergessen. Mit Freunden plaudern? Am Spielplatz austoben? Von A nach B kommen? Muss jetzt alles in den Hintergrund rücken, weil mein Kind eine Erklärung will. Weil es jammert und bizzelt oder sich gar vor Wut auf den Boden wirft. Ich erkläre immer und immer wieder. Doch es ist wirklich schwer zu verstehen. „Warum gibt mir ständig jemand etwas, was gut schmeckt, und du lässt mich nicht und sagst, dass das schlecht für mich ist?“ lese ich in den Kinderaugen.
- Sage ich nein, brauchen auch die Süßigkeiten-Anbieter Betreuung. „Dürfen sie leicht gar nicht? Ist doch nur ein kleines Stück!“ Doch, meine Kinder dürfen Süßes essen! Ich esse auch gerne Süßes. Aber es ist einfach viel zu viel! Sieht das denn niemand?
- Sage ich nein, werden die Süßigkeiten zu einer ganz großen Sache und dominieren alles weitere.
- Sage ich ja, schlemmen die Kinder mit großem Vergnügen – sie haben schließlich meinen Segen. Das Programm läuft so dahin und wenn meine ohnehin energiegeladenen Kinder zuckergepeitscht die Gegend unsicher machen, sickert bei manchen Beobachter von selbst die Erkenntnis, dass Süßigkeiten sparsam dosiert gehören.
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Sofern die Kinder nicht freiwillig jede Süßigkeit ablehnen, sehe ich mich also ziemlich chancenlos, wenn ich mich dem gesellschaftlichen Leben nicht entziehen möchte.
Ein Nein verlangt viel ab
Eigentlich übergebe ich ja meinen Kindern die Verantwortung für ihr Essen. Sie müssen nicht kosten, nicht aufessen und nicht das essen, was ich mir vorstelle. Doch bei dem Überangebot an Süßigkeiten ist es sehr viel verlangt, dass sie nur so viel essen, wie ihnen gut tut. Damit ist man auch als Erwachsener schon oft genug überfordert. Wer beim Einkaufen im Supermarkt jedes Mal an einem 10 Meter langen Regal vollgefüllt mit Süßkram vorbei spaziert, hat unweigerlich nach ein paar Mal das Gefühl schon ewig lange verzichtet zu haben. Denn wenn einem Süßes schmeckt, ist jedes Mal am Regal vorbeigehen schon ein Nein zum Kauf und somit eine beachtenswerte Leistung. In der Bäckerei konsequent nur Brot und Gebäck zu kaufen, wenn einem der Duft von Krapfen und Striezeln in der Nase liegt, eine noch viel größere.
Nach viel mehr Ja’s zu Süßigkeiten als mir lieb ist, und vielen Gesprächen mit meinen Kindern ÜBER Süßigkeiten, ABSEITS von Süßigkeiten, hat meine Tochter (5) jetzt meine Argumente schon so weit verstanden, dass ich ihr nicht mehr Ja oder Nein sage, sondern: „Ja, du kannst das haben. Aber ich finde es nicht gut, wenn du es isst. Ich finde, es ist zu viel.“ Immer wieder hat sie dann Kämpfe mit sich selbst auszutragen. Aber immer wieder schafft sie es auch, einfach Nein zu sagen. Mein Sohn (3) hat Neurodermitis und reagiert auf Schokolade mitunter heftig. Ihn muss ich noch mit meinen Neins unterstützen.
Doch es ist oft hart. Am Spielplatz, im Bus, gefühlt überall, isst irgendjemand etwas Süßes. Und viele Leute sind gewillt, bereitwillig zu teilen. Das ist schön. Aber zu viel. Wir essen zu viel Zucker. Als Gesellschaft. Weil Süßspeisen bei uns eine große Tradition haben. Und weil es uns an jeder Tankstelle, jedem Bahnhofsautomaten und zusätzlich noch auf Werbeplakaten anlacht. Wir sollten öfter nein sagen. Und uns nicht gegenseitig mit so viel Zucker beschenken. Das würde ich mir wünschen.
Bis dahin werde ich wohl meinen Kindern T-Shirts drucken lassen müssen. Mit der Aufschrift: „Bitte nicht füttern! Weg mit den Süßigkeiten!“