Weniger tut uns gut: Warum Minimalismus für mehr Ruhe im Familienalltag sorgt

Wäscheberge türmen sich in immer mehr Ecken. Spielzeugflut zieht sich über das ganze Kinderzimmer. Schubladen verbiegen sich unter der Last der vielen Sachen, die sich drinnen verstecken. Schränke gehen über, Regale sind zu voll, Tische scheinen nie richtig frei zu sein… Vielen von euch kommt es ganz bestimmt bekannt vor. Denn es ist nun mal so: wir besitzen viel zu viele Sachen, welche wir eigentlich gar nicht brauchen.

Wir sind die Sklaven unseres Besitzes

Wir leben in einer Wohlstandgesellschaft und es wäre nichts Schlimmes daran, wenn wir nicht Sklaven unseres Besitzes wären. All die Sachen sind schon lange nicht mehr da, um für uns nützlich zu sein. Die meisten davon sollen einfach nur unbefriedigte Bedürfnisse überblenden und uns das kurzfristige Gefühl von Glück und innerer Zufriedenheit vermitteln. Doch am Ende bezahlen wir viel zu hohen Preis für unser Eigentum – einen Preis, der nicht mit unserem Geld, sondern mit unserer Zeit beglichen wird.

Mehr Sachen – mehr Arbeit

Viele von uns kennen das nur zu gut: Egal wie viel aufgeräumt wird, es nimmt kein Ende. Gerade noch war der Tisch frei, schon liegen neue Sachen auf ihm. Kaum ist man mit einem Zimmer fertig, wird das andere Zimmer schon wieder unordentlich. Am Ende mit den Nerven wird der Partner beschuldigt nicht genug beizutragen und Kinder werden ausgeschimpft, weil sie immer und überall Chaos verursachen. Dabei ist die Rechnung sehr einfach: je mehr wir besitzen, desto mehr müssen wir aufräumen.

Schau dir all deine Regale und Vitrinen an: Wie lange würdest du fürs Staubwischen benötigen, wenn du nicht in jeder Vitrine so viele Sachen hättest? Wahrscheinlich könntest du sehr einfach und schnell drüber wischen. Außerdem sieht jeder Raum ordentlicher aus, wenn weniger Sachen sichtbar herumstehen. Also lass uns anfangen: starten wir in Richtung Minimalismus.

Minimalismus für Einsteiger

Die Theorie klingt ja sehr einfach, aber leider steckt hinter unserem Besitz ein großer Gegner: unsere Emotion. Denn wir kaufen nicht nur die Sachen, die wir benötigen.

Wir kaufen viele Sachen, weil sie uns in dem Moment glücklich machen, Erinnerungen schaffen sollen, oder weil wir sie mit einer Erinnerung verbinden.

So ist es natürlich sehr schwer sich von all den Sachen zu trennen. Dennoch spricht vieles dafür.

In erster Linie ist es die eigene Zeit und Energie. Denn dieses ewige Aufräumen raubt einem die letzte Kraft. Gefühlt wird man nie fertig, dreht sich im Kreis und fühlt sich am Ende oft alleine gelassen. Resignation oder Überforderung sind das Ergebnis und das Familienleben leidet darunter. Denn wenn Mama und Papa ausgelaugt sind, herrscht einfach keine gute Stimmung in der Familie.

Befreie dich!

Deshalb - befreie dich von all den unnötigen Sachen. Es ist nicht einfach, aber es ist machbar und wird mit der Zeit tatsächlich immer leichter. Für mehr Erfolg - fange ganz klein an! Hier 3 einfache Regeln für den Einstieg:

1. Gewöhne dir an, dich zu reflektieren, bevor du etwas kaufst.

Nimm die Sache in die Hand, betrachte sie und frage dich:

  • Warum brauche ich genau diese Sache?
  • Wo will ich sie aufbewahren?
  • Verbinde ich sie mit Emotionen aus der Vergangenheit? (Barbiehaus für mein Kind, weil ich es nie hatte. Popcornmaschine, weil ich früher so oft im Kino war. Laufhose, weil ich vor den Kindern regelmäßig lief.)
  • Möchte ich damit andere unerfüllten Bedürfnisse kompensieren? (Zu wenig Zeit für mich. Zu wenig Schlaf. Zu wenige soziale Kontakte zur Außenwelt…)

 

Am Anfang fühlt es sich komisch an und man hat nur dieses „aber ich will“- Gefühl. Um dagegen zu steuern, kannst du dir vornehmen, darüber nachzudenken. So wirst du dir den Kauf nicht verbieten, sondern schiebst du ihn nur auf. Du kannst sagen, du wirst die Sache morgen holen, wenn sie dir noch immer fehlt. In den allermeisten Fällen ist es nicht der Fall.

2. Kaufe nichts, was du bereits besitzt und nicht kaputt ist.

Ja, wir kaufen oft die dritten Kopfhörer, obwohl die zwei noch einwandfrei funktionieren. Aber die Neuen sind schöner, cooler und sollen auch für Sport geeignet sein. Ehrlich? Du hast schon welche. Du brauchst sie nicht. Und falls doch, weil deine wirklich beim Laufen immer aus dem Ohr rutschen, dann kannst du eine einfach Regel befolgen: bevor ich neue Kopfhörer kaufe, verkaufe ich die alten. Oder ich verschenke sie.

Du kannst dir vornehmen, nichts doppelt zu besitzen, was nicht zwingend notwendig ist. (Dass du mehr, als eine Laufhose benötigst, wenn du täglich laufen gehst und nicht täglich deine Wäsche wäschst, ist logisch. Dennoch ist die Frage, wie viele brauchst du tatsächlich davon?)

3. Miste regelmäßig aus.

Das Ausmisten hat etwas Befreiendes an sich. Gleichzeitig ist es aber auch mit so viel Überwindung und Ehrlichkeit zu sich selbst verbunden. Wie schon erwähnt erzeugen gewisse Sachen Emotionen in uns. Man kann unmöglich die alte Vase von der Oma weggeben. Auch wenn sie einem nicht gefällt, aber Oma hat sie geliebt und es ist ein Erinnerungsstück. Wenn man dann durch das eigene Haus geht und viele Sachen durch diese Augen betrachtet, ist es wie in einem Museum. Man sieht die Vergangenheit und die will man nicht wegwerfen. ABER!

Erinnerungen verblassen nicht, nur weil man Gegenstände weggibt.

Auch wird man nicht für immer mit sich unzufrieden sein, nur weil man die zwei Größen kleinere Jeans aussortiert. Diese Jeans sagt nichts darüber aus, ob man an sich arbeitet, oder aufgegeben hat. Sie nimmt nur deinen Platz weg. Wenn man aufhört Dingen einen Wert zuzuschreiben, den sie gar nicht haben, trennt man sich leichter davon. (Denk daran – du bist du und diese Sache sagt nichts über dich aus!)

Dennoch gibt es noch einen Grund, warum es nicht einfach ist, sich von gewissen Sachen zu trennen: Es fällt uns schwer, weil wir dem Besitzungseffekt (englisch Endowment-Effekt) unterliegen.

Laut diesem Effekt aus der Verhaltensökonomik sind wir bereit eine bestimmte Summe für ein Produkt zu bezahlen. Wenn wir es allerdings erwerben, überschätzen wir diesen Wert plötzlich und sind auch nicht bereit es wiederzuverkaufen. Sogar wenn uns jemand viel mehr Geld dafür bieten würde. Denn durch den Besitz steigt für uns der Wert des Gegenstandes.

Das machen sich auch viele Firmen zu Nutze, indem sie Probeabos, Probefahrten oder Verleih von noch nicht gekauften Produkten anbieten. Denn sitzt du einmal in dem neuen Wagen, steigt seine Wichtigkeit für dich und die Vorstellung diesen zu besitzen, fühlt sich plötzlich viel besser an, als wenn du den Wagen nur auf einem Plakat siehst.

Wenn du dir diese zwei Fakten jedes Mal in Erinnerung rufst, wenn du beim Ausmisten bist, wirst du eventuell schneller die eine oder andere Sache aussortieren. Sollte es dennoch nicht helfen, gibt es zwei weitere gute Tricks:

  1. Packe alles, was dir im Weg steht, in eine Kiste ein. Diese klebst du dann zu und du bringst sie in den Keller oder auf den Dachboden. Dort bleibt sie für ein Jahr verstaut. Wirst du eine Sache daraus vermissen, kannst du sie sofort rausholen. Aber nur die eine Sache. Falls du das ganze Jahr kein einziges Mal in die Kiste musst, wird sie ungeöffnet gespendet, verschenkt oder entsorgt. Fun fact: Schaust du in deine Garderobe, kannst du die Hälfte deiner Sachen sofort kübeln, denn angeblich tragen wir nicht mehr als 50% unserer Kleidung. Manche gehen sogar davon aus, dann nur 10 bis 20 Stücke regelmäßig angezogen werden.
  1. Was freut uns mehr, als ausreichend Platz zu haben? Richtig! Wenn wir für die ausgemisteten Sachen Geld erhalten. Wenn manche Gegenstände weg sollen, kannst du sie zum Verkauf anbieten. (Besitzungseffekt nicht vergessen!) Das Geld kannst du in eine Spardose geben und damit ein Wellnesswochenende nur für dich selbst bezahlen.

 

Eigene Bedürfnisse erfüllen

Wir besitzen oft zu viel, weil wir einfach viel zu häufig emotionale Käufe tätigen. Oder uns von den gut überlegten Marketingstrategien verleiten lassen (bestes Beispiel: black Friday). Es ist sehr einfach: Wenn du dir etwas Neues gönnst, werden deine Glückshormone freigesetzt. Dein Belohnungszentrum im Gehirn wird aktiviert.

Dieses Gefühl ist zwar intensiv, hält aber nicht lange an. Jede Sache wird mit der Zeit zur Selbstverständlichkeit. Deshalb lohnt es sich die Motive hinter jedem Kauf zu hinterfragen.

Kaufst du dir ein neues Kleid, weil du dich hübsch und bewundert fühlen willst? Was steckt dahinter? Womöglich zu wenig Zeit für sich? Oder nicht genügend Zeit zu zweit?

Kaufst du dir all die Markensachen, weil du deinen eigenen Wert steigern möchtest, oder geht es wirklich nur um die Qualität? Sind die überfüllten Kinderzimmer notwendig, oder stecken deine unerfüllten Kindheitswünsche dahinter?

Gerade als Eltern von kleinen Kindern neigen wir dazu, viel zu wenig auf uns und unsere Bedürfnisse zu achten. Dies kann dazu führen, dass wir uns die Portion von Selbstzufriedenheit durch spontane Käufe beschaffen.

Diese Glückshormone kann man aber zu einfachen Kohlenhydraten vergleichen: sie machen glücklich, werden aber viel zu schnell verdaut und danach ist man noch hungriger als vorher. Deshalb zahlt es sich aus, den Weg der Komplexität zu gehen. Tape nicht in die Falle des Belohnungszentrums, sondern frage dich selbst:

Was fehlt mir? Was fehlt mir womöglich noch aus der Kindheit? Was kann  ich für mich tun? Dies kann dir helfen, den unüberlegten Konsum einzuschränken.

In Kombination mit Loslassen und sich trennen von Sachen, die unser Zuhause nur voller, aber nicht WERTvoller machen, sind wir dem Minimalismus einen Schritt näher. Einen wichtigen Schritt nicht mehr der Sklave unseres Besitzes zu sein.

Ähnliche Artikel

Ein Artikel von

Weitere Artikel des Autors lesen