Q & A über das Loben, Strafen, Disziplin – und Alternativen
Die Paar- und Familienberaterin Sandra Teml-Jetter beantwortet in ihrem Q&A häufig gestellte Fragen rund um das Thema Loben, Bestrafen und Disziplin – ein Thema bei dem die Meinungen weit auseinander gehen.
Lange Zeit lang war Bestrafung das Maß aller Erziehung. Dann ist man vom „bösen Bestrafen“ zum vermeintlich positiv besetzten Loben übergegangen. Warum ist loben allerdings nicht wirklich das bessere Strafen?
Da muss ich leider einfach über uns Menschen lachen! Unser Gehirn denkt nämlich ganz automatisch in Gegenteilen – nicht in Alternativen. So ist das auch mit Strafe und Lob! Beides ist manipulativ und an Bedingungen geknüpft. Beides beginnt mit „Wenn….dann…!“. „Wenn du jetzt nicht dein Zimmer aufräumst, dann gibt es nachher keinen Nachtisch!“. Lob dagegen schaut einfach besser aus – die Motivation dahinter ist jedoch die gleiche: Ich will, dass mein Kind macht, was ich will – und weil ich weiß, mein Kind macht es nicht so gerne, erpresse ich. So oder so!
Noch nie war die Verunsicherung so groß wie heute.
Warum sind so viele Erziehungsberechtigte heutzutage verunsichert im Bezug auf Lob/Strafe? Überhaupt scheint es in Erziehungsfragen große Ratlosigkeit zu geben. Wo liegen die Ursachen?
Noch nie war die Verunsicherung so groß wie heute. Die Ursache darin liegt unter anderem in der riesigen Gestaltungsfreiheit für Männer und Frauen innerhalb der Familie und der Paarbeziehung! Tausende Studien, Bücher, neu erfundene Erziehungsmethoden und Erziehungsprogramme aus denen wir ganz frei wählen können überfluten uns täglich. Wir sind gezwungen, selbst für unser Leben und die Gestaltung desselben Verantwortung zu übernehmen. Angesichts der vielen Möglichkeiten werden viele Eltern nervös – was wenn sie etwas grundlegend falsch machen?!
In Sachen Erziehungsfragen müssen wir erst herausfinden was wir möchten und brauchen, denn Kinder wachsen langsam heran – bis für die Eltern eine Beziehung auf Augenhöhe möglich ist vergeht einige Zeit. Bis es soweit ist, müssen wir viel in der Erziehung experimentieren, dürfen Fehler machen, diese korrigieren und weitermachen!
Welche Formen von Lob sind besonders schlimm für die Würde von Kindern?
Es ist nicht gut, wenn Erwachsene ihre Definitionsmacht ausnützen und dem Kind in Form von Lob besonders oft ein völlig überzogenes Label aufdrücken von der Art: Du bist großartig, der/die Beste…! Die Konsequenz ist, dass Kinder nicht mehr darüber nachdenken müssen, welche Auswirkungen ihr Verhalten auf andere Menschen hat. Egal was die Kinder tun, sie werden mit Lob überschüttet – man vermittelt das Bild, dass alles was sie tun großartig ist. Loben ist gut – wenn es tatsächlich angebracht ist. Wir ziehen aber oft, sehr demütig und unterwürfig, kleine Prinzen und Prinzessinnen heran, die es einmal besser haben sollen, als wir. Ja, es gibt viele „Projektkinder“, die sozusagen die Visitkarte der Eltern sind!
Wie erkenne ich bei Kindern, dass sie möglicherweise manipuliert wurden, um „brav“ zu handeln?
Meistens handeln nicht die Kinder brav, sondern die Eltern werden in so einer Beziehung brav, weil nämlich früher oder später das Kind die Führung übernimmt, wenn es lernt, Dinge nur unter gewissen Bedingungen zu tun – wenn es dafür etwas bekommt. „Wenn du jetzt lieb und höflich bist, dann bekommst du nachher ein Eis.“ Das widerspricht jedem Gemeinschaftsgedanken. Oft tun wir so, als ob unsere Kinder von selbst nicht gerne Teil der Gemeinschaft wären. Als Teil der Gesellschaft gehört es dazu, dass wir auch Dinge tun müssen, die nicht so lustig sind.
Es wirkt, als würden Eltern den Frust ihrer Kinder einfach immer schwerer aushalten. Die obersten Prämissen lauten scheinbar „immerwährendes Glück und Harmonie„. Das ist jedoch sehr unrealistisch! Ich sage in meiner Praxis oft: Wer das haben will, ist eindeutig auf dem falschen Planeten gelandet! Das Leben macht nicht immer nur Spaß, man ist nicht immer Glücklich und es verläuft oft nicht nur Harmonisch. Manche Dinge müssen erledigt werden, in gewissen Situationen muss man sich entsprechend verhalten – auch, wenn man das eigentlich gerade nicht möchte und dadurch die Harmonie (kurzfristig) gefährdet wird. Frust gehört zum Leben dazu – auch das müssen Kinder lernen.
Inwiefern kann „boshaftes“ Verhalten bei Kindern schlicht Reizüberflutung sein?
Wenn man boshaft ist, dann will man bestrafen oder ein Vergnügen haben. Eltern sollten immer den Kontext berücksichtigen, in dem ein Kind boshaft wird. Wenn es den ganzen Tag nur reizüberflutet und mit Angeboten überhäuft wird, dann kann es schon sein, dass das Kind im Wahrsten Sinn des Wortes zurückschlägt, um die persönlichen Grenzen zu wahren. Da müssen sich dann die Erwachsenen fragen, was schief gelaufen ist – in ihrem Verhalten! Denn die Erwachsenen tragen die Beziehungsveratnwortung! Vielleicht ist das Kind mit dem täglichen „Beschäftigungsprogramm“ überfordert. Montag Tennisstunde, Dienstag Blockflöte, Mittwoch Schwimmkurs, Donnerstag… Reagiert das Kind vielleicht gereizt, weil es mehr Ruhe und Zeit für sich benötigt oder liegen der Boshaftigkeit andere Dinge zugrunde?
Im Austausch mit älteren Generationen geht es oft um das Streitthema Disziplin in der Kindererziehung. Welchen Umgang mit diesem Thema ist empfehlenswert?
Ich bin der Meinung, dass Eltern ihren Kindern Disziplin vorleben können, indem sie diszipliniert ihren Weg gehen. Diszipliniert Zeit für sich selbst und die Beziehung nehmen, diszipliniert immer wieder aufstehen, in die Arbeit gehen, den Haushalt machen etc. Das scheint mir Disziplin genug!
Die älteren Generationen meinen mit Disziplin Gehorsam, Drill, Dressur. Ich bin gegen dieses Verständnis von Disziplin – ich halte das für Unsinn. Leider arbeitet auch unser Schulsystem oft noch angelehnt an dieses Paradigma. Für viele Kinder ist dies heute auch nur noch schwer zu verarbeiten, denn sie verlieren in diesen Stunden in dieser Institution einen Teil ihrer Würde. Bei aller Freiheit in der Erziehung, sind sie es oft nicht gewohnt, blind Anordnungen zu folgen und sich selbst nicht einbringen zu dürfen. (Es gibt natürlich auch fantastische Lehrer/innen bei denen Kinder regelrecht „aufblühen“ dürfen!!!) Eltern können aber auch in diesen Situationen Vorbild sein. Es gibt im Leben Regeln und Rahmenbedingungen, an die man sich halten muss – sofern man ein Teil der Gesellschaft sein möchte. Eltern können jedoch vorleben, dass man die Dinge hinterfragen darf, sich sein eigenes Bild der Situation schaffen kann und sich so seine Würde und Eigenständigkeit bewahrt indem man verhindert, dass man blind Anweisungen folgt.
Kinder sind schon sehr früh mit unserer Leistungsgesellschaft konfrontiert. Wie kann man den Erziehungsstil innerhalb der Familie mit dem Wettbewerb der „Welt da draußen“ (Verwandte, Kiga, Schule etc) in Einklang bringen?
Indem man vertraut, zu sich selbst, seiner Paarbeziehung und der Familie steht und nicht den ganzen Unsinn mitmacht! Das fordert auch wieder viel Disziplin und Selbstvertrauen, weil es immer noch viel Gegenwind gibt. Dies Konflikten müssen wir uns stellen und mit ihnen umgehen (was ja wieder im Widerspruch zur Harmoniesehnsucht steht!)
Die obersten Prämissen lauten scheinbar „immerwährendes Glück und Harmonie“. Das ist jedoch sehr unrealistisch! Ich sage in meiner Praxis oft: Wer das haben will, ist eindeutig auf dem falschen Planeten gelandet!
In meinem Bekanntenkreis bemühen sich viele (vorwiegend) Mütter darum, vor allem „wenn—dann“-Konstellation und auch sonstige Lob-Begriffe (gut gemacht, super, wow, bravo) zu vermeiden. Macht das Kind was Tolles, kommen dann Aussagen, die vielleicht in Büchern recht gut klingen, sich gesprochen aber total verkrampft und konstruiert anhören … Wie sehr kommt es also beim Thema Loben tatsächlich auf das Wording an?
Das richtige Wording beim Loben
Es ist ganz einfach! Ich rate Eltern, das alles einfach zu vergessen, und einfach ihren authentischen Gefühlen Raum zu geben. Wenn ich mich als Mutter über etwas freue, dann sag ich es. „Ma! Voi supa!“ Unsere Kinder nehmen mit unserer „Energie“, mit unserem Ausdruck, viel mehr Kontakt auf, als mit dem gesprochenen Wort. Reden wird sowieso überbewertet. Wenn wir also etwas verkrampft aus dem Lehrbuch zitieren, dann geht der Schuss sowieso nach Hinten los!
„Lob“ ist dann einfach Ausdruck meiner Freude. Es kommt also auf meine Absicht als Elternteil an – und die kann ich vor dem Kind sowieso nicht verbergen. Und genau darauf, auf die Absicht oder eben auf das Verkrampfte, reagiert dann das Kind.