Bist du heute ein Goldgräber oder ein Mistkäfer?
„Wer an das Gute im Menschen glaubt, bewirkt das Gute im Menschen“, hält der Schriftsteller Jean Paul fest. Ich bin überzeugt, dass sich diese Erkenntnis ganz besonders im Umgang mit Kindern und unserem Partner/unserer Partnerin bewahrheitet. Was wir in ihnen sehen, was wir hervorheben und ansprechen, das wird unter dieser Aufmerksamkeit und Zuwendung wachsen – im Positiven wie im Negativen.
Den Blick für kleinste Schätze schärfen…
An manchen Tagen fällt es uns wunderbar leicht: Wir sehen vorwiegend die positiven Eigenschaften unserer Kinder und unseres Partners/unserer Partnerin, ihr Bemühen, ihre Talente, ihr einzigartiges wertvolles Wesen. Wir freuen uns daran, wie unsere Kinder die Welt entdecken, ihre eigenen Herangehensweisen ausprobieren, welche Stärken ihnen in die Wiege gelegt sind und wie sie tun, was sie eben tun – in ihrer ganz eigenen individuellen Art und Weise. Wir teilen unsere Freude auch mit Anderen und erzählen dem/der FreundIn oder NachbarIn, was unser Kind geschafft hat, wo es Einsatz zeigt und was es als kleines Persönchen besonders macht. Genauso spiegeln wir diese positiven Eindrücke und Beobachtungen unserem Kind: wie ausdauernd es beispielsweise versucht hat, das Puzzle fertigzustellen. Wir zeigen ihm, dass wir es schätzen und lieb haben, wie es ist. Ebenso tut es gut, wenn wir uns als Partnern gegenseitig solche kleinen Entwicklungsschritte, Bemühungen, Stärken und Besonderheiten aussprechen.
Wir zeigen ihm, dass wir es schätzen und lieb haben. An solchen Tagen sind wir wie Goldgräber. Wir entwickeln einen Blick für die kleinen und großen Schätze im grauen Alltagsgestein.
In der Schönstatt-Bewegung für Familien haben wir ein feines Bild dafür kennengelernt: An solchen Tagen sind wir wie Goldgräber. Wir entwickeln einen Blick für die kleinen und großen Schätze im grauen Alltagsgestein und freuen uns über jedes Funkeln.
…anstatt im Mist zu wühlen
Dann wieder gibt es Tage, an denen wir diese Goldgräberbrille verlegt haben und wir nur am Nörgeln sind. Da hat das Kind wieder etwas vergessen, das hat es schon wieder nicht gemacht, hiermit zieht es uns den letzten Nerv und überhaupt ist es furchtbar ineffizient.
An anderen Tagen scheinen die Mitmenschen dann überhaupt nichts richtig zu machen. Wir sind zu Mistkäfern geworden.
Mein Partner/meine Partnerin ist wieder anstrengend mit dem unterschiedlichen Tempo oder fehlendem Organisationstalent. Die Mitmenschen scheinen dann überhaupt nichts richtig zu machen. Wir sind zu Mistkäfern geworden, die sich ausgiebig und mit Freuden im Mist tummeln und ihn vor sich her rollen, bis der Mistball so groß geworden ist, dass wir nichts anderes mehr sehen. Plötzlich herrscht eine Atmosphäre der Kritik und Bewertung, die es schwer macht, sich frei zu entfalten und zu wachsen.
Das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken, wird wachsen und gedeihen und den Platz einnehmen, den wir ihm damit geben. Wie kommt das? Die Psychologie etwa erklärt dieses Phänomen als sich selbst erfüllende Prophezeiung: Wenn wir uns beispielsweise über die Tollpatschigkeit unseres Kindes ärgern, spürt und merkt das Kind das, fühlt sich unsicher und wird sich dadurch wieder tollpatschig verhalten, was wiederum unser Bild vom Kind verfestigt. Was würde wohl eine Haltung des Zutrauens und, wenn nötig, sanfte Unterstützung bewirken?
Meine Entscheidung macht den Unterschied
Unsere Weltsicht, unsere Aufmerksamkeit und was wir unserem Kind damit signalisieren und zutrauen oder zumuten strahlt aus und wirkt. Natürlich ist es okay, unsere Mitmenschen mit Stärken und Schwächen wahrzunehmen – etwas Entwicklungsbedürftiges auszublenden, statt das Kind in seinem Wachstum zu unterstützen, wäre ebenso wenig wertschätzend. Jeder Mensch darf Fehler machen, lernen und muss nicht alles können oder optimal lösen. Wir alle sind Lernende auf unserem Lebensweg.
Unsere Weltsicht, unsere Aufmerksamkeit und was wir unserem Kind damit signalisieren und zutrauen oder zumuten strahlt aus und wirkt.
Welches Gefühl wir unseren Kindern bezüglich ihrer Fähigkeiten, ihrer Persönlichkeit, ihres Selbstwerts und ihrer Selbstwirksamkeit vermitteln, hängt damit zusammen, wie wir seine Stärken stärken und wie wir mit Schwächen und Entwicklungspotential umgehen. Ebenso wird unser Bild vom Partner/der Partnerin gefärbt durch das, worauf wir unseren Fokus legen. Speziell Eigenschaften, die uns herausfordern, können wir immer von zwei Seiten betrachten. Dann kann die Geizigkeit zu sinnvoller Sparsamkeit werden, ein abgehoben scheinender Idealismus zu anspornenden Wachstumszielen.
Suchen und fördern wir Goldklümpchen oder Mistkugeln? Das ist unsere Entscheidung, die wir immer wieder aufs Neue treffen dürfen.