Attacke!!! Warum Kinder so gern ‚Kämpfen‘ spielen

Kinder feuern aus Spielzeugpistolen, kämpfen mit Stöcken und besiegen im Spiel mit Gewalt das Böse. Erwachsene sind damit nicht immer einverstanden. Warum sollten Erwachsene das trotzdem erlauben?

Die Elementarpädagogin Anna Ruschka erklärt, warum kämpferisches Spielen so wichtig ist und welche Funktionen es in der kindlichen Entwicklung erfüllt.

Frau Ruschka, Kinder funktionieren Stöcke zu Schwertern um, basteln sich Gewehre und wünschen sich Spielzeugpistolen. Warum eigentlich?

Darüber sind sich Fachleute nicht ganz einig. Manche erklären den Drang, im Spiel zu kämpfen, evolutionsbiologisch. Über viele Jahrhunderte sicherten sich Menschen das Überleben durch Kämpfen und Schießen auf der Jagd. Tiefenpsychologen hingegen nehmen an, dass sich die Kinder im Spiel beim Kämpfen mit ihrer eigenen Schwachheit auseinandersetzen, die sie täglich erleben. Sie sind die Kleinen, die oft keine wichtigen Entscheidungen treffen können. Ein weiterer Erklärungsversuch geht davon aus, dass das kämpferische Spiel etwas mit den Trennungsängsten zu tun hat, die Kinder haben.

Auch wenn Eltern nicht wissen, was sie davon halten sollten oder Kämpfen und Spielzeugwaffen generell verbieten: Es ist völlig normal und entwicklungskonform, wenn Kinder auf diese Weise spielen.

Sie würden Kindern das kämpferische Spielen und Spielzeugwaffen also nicht pauschal verbieten?

Nein. Ich habe das als Pädagogin zwar anfangs auch gemacht, einfach, weil sich das so gehörte. Mir kommt auch heute oft vor, dass solche Verbote aus dem Bedürfnis heraus, Kinder zu friedlichen Staatsbürgern zu erziehen, ausgesprochen werden. Das ist pädagogisch so nicht möglich. Ich selbst habe mit der Zeit gelernt, dass der Drang auf diese Art zu spielen, bei Kindern sehr stark ist.

Und dass das kämpferische Spiel wichtige Funktionen erfüllt.

Es bietet ihnen die Möglichkeit, Dinge, die sie innerlich bewegen, aufzuarbeiten. Sie lernen dabei, mit Situationen umzugehen, indem sie ihre Gefühle rauslassen.

Sie drücken Wut, Frust oder Zorn aus, auch Ängste.

Selbst wenn Eltern darauf acht geben, dass ihre Kinder im Fernsehen oder im Internet nichts sehen, was sie überfordern könnte: Ganz vermeiden, dass sie über Bilder in der Zeitung oder im Fernsehen etwas vom Kriegsgeschehen zum Beispiel in der Ukraine mitbekommen, können sie nicht. Das kämpferische Spiel ist eine Möglichkeit für die Kinder damit umzugehen.

Darüber hinaus werden Fantasie und Teamfähigkeit trainiert, und das schafft die Grundlage, Konflikte friedlich zu lösen.  

Inwiefern?

Ab etwa vier Jahren finden sich Kinder beim Spielen im Team zusammen, ab fünf, sechs zischen sie zusammen durch den Garten. Sie ‚kämpfen‘ zwar, aber sie tun sich meistens nicht wirklich weh. Was von außen ziemlich wild ausschauen kann, läuft bei genauerem Hinsehen geregelt ab. Der Stock wird im Spiel zwar zur Waffe, die Kinder schlagen damit aber nicht wirklich hin. Sie wissen genau, dass niemand ‚tot‘ ist, auch wenn er im Spiel ‚totgeschossen‘ wird.

Wann sollten Erwachsene eingreifen?

Kinder sollten beim Spielen nicht einfach sich selbst überlassen werden, sondern brauchen manchmal die Hilfe von Erwachsenen. Zum Beispiel dabei, sich im Vorfeld auf bestimmte Regeln zu einigen. Solche Regeln können sein: Wenn jemand ‚Stopp‘ sagt, muss man aufhören. Oder: Beim Spielen mit Spritzpistolen darf nur auf die gezielt werden, die das auch möchten.

Ich würde solche Waffen nicht erlauben, aus denen Kugeln oder Pfeile geschossen werden, weil die Verletzungsgefahr zu groß ist. Manchmal müssen Waffen auch direkt im Spiel konfisziert werden. Ich rege die Kinder außerdem an, den anderen beim Spielen immer ins Gesicht zu schauen. Denn im Gesicht sieht man, ob der andere Angst hat, sich unwohl fühlt, oder ob es ihm gut geht. 

Sie sind der Meinung, dass das kämpferische Spiel sogar der Werte- und Friedenserziehung zuträglich ist.

Meistens geht es dabei ja um die Rettung der Welt.

Die Kinder kämpfen gegen das Böse, sie setzen sich mit Unrecht und dem Negativen auseinander. Es gehört auch dazu, dass sie dabei selbst in die Rolle des Bösen schlüpfen. Wichtig ist nur, dass es nicht immer dasselbe Kind ist, das den Bösen spielt – in diesem Fall sollten Erwachsene eingreifen. Viele Erwachsene, häufig sind das Frauen, versuchen Kinder leider davon allzu oft zu überzeugen, dass friedliches Spielen besser ist. Männer haben meist weniger Probleme damit, wenn Kinder kämpferisch spielen. Man darf nicht vergessen, dass es zur Friedenserziehung auch gehört, Gefühle auszudrücken. Und das geht im Spiel mit Waffen und Kämpfen hervorragend.

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