Gefühlseintöpfe - Die Wut- und Trotzphase
Warum dein Kind nicht manipuliert, sondern wächst
Trotzphase? Nein – Autonomiephase!
Dein Kind wirft sich auf den Boden, schreit, weil es nicht den „richtigen“ Fruchtzwerg bekommen hat, die Folie selbst abziehen sollte, der „richtige“ Löffel gerade im Geschirrspüler ist oder will barfuß nach draußen in den Schnee, ohne Jacke. Dieses Kind ist doch nicht mehr ganz normal? Doch! Die sogenannte Trotzphase ist kein Zeichen von Manipulation oder Boshaftigkeit, Kinder wollen in dieser Phase nicht nur einfach ihren Willen durchsetzen, sondern etwas alleine machen, etwas selbst erfahren und daraus lernen. Was für Eltern so furchtbar anstrengend ist, das ist ein natürlicher, evolutionär sinnvoller Schritt zur Selbstständigkeit.
Warum gibt es die Trotzphase überhaupt?
Kinder auf der ganzen Welt zeigen zur gleichen Zeit ähnliches Verhalten – rund um das 15. - 18. Lebensmonat beginnt die Autonomiephase und bleibt etwa ein Jahr oder länger bestehen. Wenn man an manche Erwachsene denkt, haben sie diese Phase nie wirklich hinter sich gelassen. Das liegt daran, dass auch das jeweilige Temperament eine große Rolle spielt: Kinder kommen bereits mit individuellen Charakterzügen auf die Welt. So kommt es, dass sich diese Autonomiephase bei manchen Kindern mehr und bei anderen weniger zeigt.
Nicht zu vergessen, dass auch das Temperament jener eine Rolle spielt, die die Gefühlsstürme abbekommen. Manche können damit besser andere weniger gut umgehen und wieder andere nehmen diese Wutausbrüche sehr persönlich. Was sie nicht sind, aber dazu später. Auch Babys von Menschenaffen trotzen – ein Zeichen, dass es sich um einen tief verwurzelten Mechanismus handelt. Wieso es diese Autonomiephase überhaupt gibt, dazu gibt es mehrere Theorien. Was es auf jeden Fall zu bedenken gilt, ist, dass es evolutionsbiologisch keinen Sinn macht, ein Verhalten zu behalten, dass nicht in irgendeiner Art und Weise nützlich ist. Also gehen wir davon aus, dass die Autonomiephase wichtig für die menschliche Entwicklung ist, sonst wäre sie in den letzten Jahrtausenden wohl irgendwann verschwunden.
Trotz ist kein Problemverhalten – es zeigt, dass dein Kind wächst!
Aber wieso ist mein Kind so emotional?
Das Gehirn eines Kleinkinds ist noch nicht in der Lage, Frustration gut zu regulieren:
- Das emotionale Zentrum (limbisches System) ist hochaktiv. Gefühle kommen ungefiltert und intensiv.
- Der rationale Teil (präfrontaler Cortex) ist unreif. Die Fähigkeit, sich selbst zu regulieren und zu beruhigen, entwickelt sich erst im Laufe der Jahre – vollständig ausgereift ist es erst mit etwa 25 Jahren.
- Erst mit vier bis fünf Jahren beginnt das Gehirn, Wut, oder andere starke Gefühle, besser zu regulieren.
- Kooperationsmüdigkeit kann eine Rolle spielen. Kinder haben oft schon den ganzen Tag kooperiert und am Nachmittag/Abend ist die Luft raus, sie sind erschöpft.
- Oft spielen unerfüllte Grundbedürfnisse wie Hunger, Müdigkeit oder Überreizung eine große Rolle. Jeder der schon mal versucht hat, sich mit Hunger zu konzentrieren und etwas zustande zu bringen, weiß wie anstrengend das ist.
Abstecher: Wie entstehen überhaupt Gefühle?
- Gefühle entstehen durch Gedanken und/oder (un)erfüllte Bedürfnisse.
- Gefühle können durch Gedanken entstehen, mit denen wir Situationen deuten. Das geschieht meist so schnell, dass es oft unbewusst bleibt.
- Ein Kind nimmt dir dein Spielzeug weg. (Situation) Das Kind denkt: "Ich bekomme mein Spielzeug nicht mehr zurück." (Gedanke) Es wird traurig. (Gefühl)
- Gefühle können durch erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse innerhalb einer Situation entstehen.
- Ein Kind möchte Bausteine besonders hoch stapeln (Bedürfnis nach Erfolg, Selbstentfaltung), es schafft es nicht (Situation), das frustriert es. (Gefühl)
- Ein Kind möchte zum Spielplatz (Bedürfnis nach Ausgleich, Spiel), jemand geht mit ihm dorthin/erlaubt es (Situation), es freut sich. (Gefühl)
Liebevoll durch diese Situationen begleiten – aber wie?
Kinder brauchen in Situationen in denen Gefühle stark und überwältigend sind keine logischen Erklärungen und viel Gerede. Sie wollen Verständnis und klare, liebevolle Grenzen, um sich sicher zu fühlen.
- Verständnis zeigen: „Ich weiß, du willst noch bleiben, gleichzeitig ist es Zeit zu gehen.“
- Kurze, klare Ansagen: „Die Straße ist gefährlich, ich trage dich jetzt rüber.“
- Alternative anbieten: „Möchtest du selbst laufen oder soll ich dich tragen?“
Aber was mache ich, wenn mein Kind diese Grenzen nicht akzeptiert?
- Nicht in Diskussionen verwickeln lassen. („Warum nicht?!“ → „Weil ich das so entschieden habe.“)
- Konsequent, aber liebevoll bleiben. („Du bist wütend, das verstehe ich. Aber der Bildschirm bleibt jetzt aus.“)
- Natürliche Konsequenzen nutzen. („Wenn du das Spielzeug wirfst, kommt es weg.“)
Erziehung findet außerhalb dieser Anfälle statt
Erziehung passiert nicht inmitten eines Wutanfalls.
Es ist nicht notwendig, in jeder Situation zu 100 % konsequent zu sein. Weder absolute Strenge noch völlige Nachgiebigkeit sind der richtige Weg – vielmehr geht es um eine gesunde Balance.
Ein kurzer Selbstcheck kann helfen: Wie überzeugt bin ich gerade selbst davon, diese Grenze durchzusetzen? Wie wichtig ist es mir in diesem Moment? Geht es hier um Macht, um Sicherheit oder um Gesundheit? Habe ich die Nerven und die Zeit, den Konflikt jetzt auszutragen? So kann es sein, dass man als Elternteil manchmal nachgibt und manchmal eben nicht.
Erwartungen realistisch setzen
Wutanfälle gehören zur Entwicklung von Kindern dazu. Sie lassen sich oft nicht verhindern, aber man kann lernen, mit ihnen umzugehen. Der Schlüssel liegt darin, eine Strategie zu finden, die für dich persönlich passt und dich nicht unnötig belastet.
Wichtig ist, nicht zu erwarten, dass Wutanfälle verschwinden, nur weil du eine bestimmte Methode anwendest. Die Realität zeigt jedoch: Ein empathischer Umgang hilft oft, die Dauer und Intensität der Wutanfälle zu verringern, weil Kinder sich verstanden fühlen und dadurch schneller zur Ruhe kommen.
Wer fühlt sich nicht wohl unter Menschen bei denen man so sein kann wie man wirklich ist und sich gerade fühlt, und die Verständnis für einen zeigen?