Hochbegabung bei Kleinkindern: Reden ist Gold
Ist mein Kind hochbegabt? Vor dem Schulalter und bei zufriedenen Kindern eine unwichtige Frage, sagt Erziehungswissenschafter Thomas Trautmann. Wichtig ist: Rede mit deinem Kind! Dann weißt du, was es braucht.
Hochbegabung drückt sich schon bei jungen Kindern aus: angefangen von schnellen Entwicklungssprüngen, hin zu Extremen in Beziehungen und Über- oder Unterforderung im Kindergarten. Letztlich ist für Eltern nicht wichtig, über die Hochbegabung Bescheid zu wissen, solange ihr Kind nicht zur Schule geht, sagt Thomas Trautmann, Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg – und solange die Entwicklung gut verläuft.
„Eltern können ganz gelassen sein“, betont Trautmann, „zwei von hundert Kindern sind hochbegabt, mehr werden es nicht.“
Sieben von zehn der Hochbegabten wachsen ohne Probleme auf, zeigt eine Langzeitstudie. Hochbegabte vollbringen hervorragende Leistungen in einem oder mehreren Gebieten – zum Beispiel sprachlich, mathematisch, körperlich oder auch intrapersonal – es gebe nicht die Hochbegabung. So wie jeder Mensch Begabungen in einer „unverwechselbaren Melange“ hat, wie es Trautmann bezeichnet, so haben Hochbegabte sie besonders ausgeprägt. Geprägt sind sie durch die persönlichen Anlagen, die in jeden Menschen hineingelegt sind, aber auch durch Mama, Papa, Kindergarten oder Schule.
Mit dem Kind sprechen
Ob einzelne der Begabungen nun Hochbegabungen sind, brauche man in jungen Jahren eigentlich nicht zu wissen – außer, es läuft etwas aus dem Ruder. „Dann sollte das Kind getestet und eine Diagnostik gemacht werden, um zu überlegen: Vielleicht sind alle Angebote, die wir haben, für dieses Kind nicht aktuell. Wenn es zum Beispiel intrapersonal hochintelligent ist, dann müssen wir ihm mehr Ruheräume geben“, beschreibt Thomas Trautmann einen Fall, wo eine Testung notwendig ist. Liegt aber keine diagnostische Notwendigkeit, keine Verhaltensauffälligkeit vor, sei ein Test „unnötig“.
Vor allem anderen setzt Trautmann jedoch auf Kommunikation. Was ein Kind braucht, kann schon durch Reden geklärt werden. Für Eltern wichtig zu wissen:
„Es ist viel mehr in diesem Kind, als wir glauben. Bei Kindern gibt es noch eine Disposition zwischen Denken und Sprechen: Gerade im letzten Jahr vor der Schule gibt es Kinder, die schneller denken, als sie sprechen können.
Sie sind unglücklich, denn das, was sie längst gedacht haben, können sie erst später sagen. Stattdessen prügeln sie sich oder bekommen Wutanfälle. Da empfehle ich immer, mit dem Kind und nicht über das Kind zu reden. Über Kommunikation geht vieles!“, ermutigt Trautmann.
Kinder haben eine eigene Logik und Philosophie, sie sagen uns manchmal etwas nicht, weil sie glauben, uns schützen zu müssen. Gerade Hochbegabte sind – ungefähr jeder dritte – hochsensibel. Hochsensibilität lässt auch kleine Kinder verstummen, damit sie Mama etwas bewusst nicht sagen, das sie belasten könnte.
Keine Angst vor zu wenig Förderung – die Qualität zählt
Das Reden ist auch entscheidend, wenn es darum geht, für das Kind die richtigen Angebote auszuwählen. Wenn die Frage heißt: Tanzgruppe oder Geräteturnen?, geht vielleicht beides. Und bevor die Mamas aufschreien, das sei zu viel und das Kind müsse sich entscheiden, will Trautmann die Idee an die Eltern weitergeben, das Kind „einfach mal machen zu lassen. Es muss ja erst erfahren, dass das zu viel ist! Vielleicht gibt’s eine Synergie zwischen Tanzgruppe und Geräteturnen.“
Gerade für hochbegabte Kinder ist nichts schöner, als sich entscheiden zu können.
„Diese Kinder machen sich oft sehr viele Gedanken über etwas, aber sie reden nicht darüber. Wenn sie aber danach gefragt werden, kommen sie mitunter nach einer Nachdenkphase und sagen: Ich hab mir das überlegt, ich hab keine Lösung, aber ich hab eine Idee, wie wir das eine mit dem anderen verbinden können…“
Gerade moderne Eltern möchten ihre Kinder fördern, so gut sie können. Besteht die Gefahr, ein Kind zu wenig zu fördern? „Diese Angst können Eltern ganz tief vergraben, sie ist völlig unbegründet“, beruhigt Thomas Trautmann. Hochbegabte nehmen sich, was sie brauchen. Es gehe nicht um ein Weniger oder Mehr an Angebot, sondern um die Qualität. Wenn Eltern ein Buch anbieten und merken, das Kind findet es interessant, können sie ein weiteres Buch anbieten. Wenn das zu viel ist, bieten sie etwas anderes an, gehen mit ihm zum Beispiel ins Museum. Wenn das Kind dabei einschläft, ist es wohl nicht das richtige Angebot. Oder es braucht einen Auftrag wie: Suche in jedem Saal die Pferde in den Bildern.
Trautmann: „Hochbegabung heißt, die Gedanken brummeln, weil keiner mit ihnen spielt.“
Also: Die Kommunikation pflegen, Ängste beerdigen und dem Kind etwas anbieten.
So drückt sich Hochbegabung bei Kleinkindern aus
Im ersten Lebensjahr hochbegabter Kinder passieren viele Entwicklungsschritte früher. Sie haben ungewöhnliche Schlaf-Wachphasen; bemühen sich, Informationen in anderem Maße aufzunehmen, als es andere Kinder tun; fixieren ihren Blick länger; lächeln früh bewusst zurück, wenn die Mama lächelt – schon ab der dritten Woche, sonst beginnt dieses „soziale Lächeln“ mit dem zweiten Monat. Die Entwicklungsphasen sind im ersten Lebensjahr also verkürzt, die Entwicklungssprünge stärker.
Im Alter zwischen ein und drei Jahren zählen ungefähr zwei Drittel der Hochbegabten zu den „frühen Sprechern und späten Läufern“ und ungefähr ein Drittel zu den „frühen Läufern und späten Sprechern“, beobachtet Trautmann bei hochbegabten Kleinkindern. Nicht alle hätten Artikulationsbedarf, manche fänden die Bewegung viel interessanter als das Sprechen darüber. Das ist einerseits anlagebedingt, also vererbt, andererseits wirkt die Umwelt auf die Entwicklung ein. Die Forschung weiß heute um die Interdependenz, um das Zusammenwirken aller Einflüsse. „Wenn diese späten Sprecher und frühen Läufer in einer familiären Umgebung sind, in der wenig gesprochen wird, wird das Sprechen nicht ausgeprägt. Sind sie in einer Familie von lauter Wasserfällen, dreht sich das vielleicht“, erklärt Thomas Trautmann. Mama und Papa haben besonders in dieser Entwicklungsphase großen Einfluss.
Im Kindergarten kommen neben der Familie, dem neuen – interessanten oder furchterregenden – Umfeld Kindergarten auch die Ähnlich- und Gleichaltrigen dazu.
Hochbegabte sind Menschen wie andere auch, nur in jeder Beziehung etwas stärker.
„Dieses Mehr von jeder Seite heißt: Die Ablösung geht bei Hochbegabten schnell oder gar nicht schnell. Wir haben Belege davon, dass Kinder auch ausprobieren: Wie ist es, wenn ich um ein paar Dezibel lauter schreie, kommt Mama dann oder hält sie das durch?“, sagt Trautmann. Hochbegabte Kleinkinder interagierten damit auf einer Art Metaebene: Sie überlegen, was sie tun, ohne es sagen zu können. Das sei völlig wertfrei zu betrachten, betont Trautmann: „Das ist weder klüger noch schlimmer.“
Hochbegabung ist in Mode, aber nicht wünschenswert
Hochbegabung, so könnte man sagen, ist heute in Mode. Eltern kommen zu Thomas Trautmann und meinen, ihr Kind komme in der Schule nicht zurecht, es sei bestimmt unterfordert. Nach einer Testung erkennen Trautmann und sein Team: Der Sohn ist normal begabt, aber schlecht erzogen – nur klingt das nicht schick. Dabei sei Hochbegabung zwar messbar, aber nicht wünschbar.
„Ich würde alle beglückwünschen, die ein gesundes, lebensfrohes Kind haben.
Hochbegabung ist ein Hemmnis für Entwicklung! Aber es lohnt sich, um jeden Hochbegabten zu kämpfen“, ist Trautmann überzeugt. Denn richtig eingesetzt wird aus ihm ein Bill Gates.