Kindliche Entwicklungsphasen in Zeiten von Corona
Jede Entwicklungsphase wird von Erfahrungen und Lernaufgaben bestimmt, die Kinder in diesem Alter naturgemäß machen. So gehören Entdeckungsdrang und soziale Begegnungen im Kindergarten bzw. Schul-Alltag zu einer gesunden Entwicklung wie das Atmen zum Leben. Doch was tun, wenn Corona genau diese Erfahrungen verhindert? Gewusst wie können wir unseren Kindern mit einfachsten Angeboten helfen, ohne selbst auszubrennen.
Babys im ersten Lebensjahr
Babys im ersten Lebensjahr erleben sich eins mit der Mutter. Erst ab dem 6. Lebensmonat unterscheiden sie zwischen vertrauten und fremden Personen, beginnen ab dem 8. Lebensmonat zu fremdeln, um im zweiten Lebensjahr zu erkennen, dass sie eigenständige Persönlichkeiten sind. In dieser ersten Phase der Verbundenheit spüren sie Ängste und Anspannungen der engsten Bezugspersonen umso stärker. Wir Eltern sind hier stark gefordert vermehrt für uns selbst und unsere emotionale Ausgeglichenheit zu sorgen. Auch viel Körperkontakt und ausgiebiges Kuscheln kann helfen, das Urvertrauen der Kinder wieder zu stärken, so Kinderpsychiaterin Claudia Schmidt-Troschke*.
Kinder in den ersten Lebensjahren greifen alles an, stecken Dinge in den Mund und erkunden aktiv die Umwelt. Heißt es nun „Greif das nicht an, nimm das nicht in den Mund!“ wird dieser angeborene, natürliche Impuls ständig ausgebremst. Doch was heißt das für die Zukunft? Entwickeln Kinder nach solchen Erfahrungen noch Vertrauen in die Welt? Setzen sie sich noch mit ihr auseinander? Wichtig wäre es hier, geschützte Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Kinder die haptische Erfahrung des „Begreifens“ positiv besetzt erleben können. Wie z.B. eine Spieldecke mit unterschiedlichsten Materialien im Wohnzimmerboden.
Kinder sind Beziehungslerner. Sie brauchen die Bestätigung von außen etwas gut gemacht zu haben, ihr Antrieb ist das Lob von Lehrerin und Eltern.
Das eigene aktive Tun wird immer wichtiger je älter die Kinder werden. Noch bevor sie in die Schule kommen, wird nach Herzenslust gebastelt und gewerkt sowie an Höhlen und Rückzugsorte gearbeitet, meint Claudia Schmidt-Troschke. In diesem Flow des Tuns, im gegenwärtigen Moment bilden Kinder ihre Fähigkeiten aus. Vor allem im zwischenmenschlichem Kontakt. „Kinder sind Beziehungslerner“, so die Psychiaterin. Sie brauchen die Bestätigung von außen etwas gut gemacht zu haben, ihr Antrieb ist das Lob von Lehrerin und Eltern.
Dies alles fehlt in der zweidimensionalen Welt der Videokonferenzen. Spielerische Kontakte können nicht ausgelebt werden, Sinneserfahrungen werden reduziert und die Kinder auf Ebenen zurückgedrängt, die sie eigentlich erweitern sollten. „Dies führt zu einem rezeptiven Dasein, wo ich Eindrücke nur aufnehme. Den Geburtstagskakao der Freundin kann ich nicht riechen vor der Kamera, den Kuchen nicht probieren.“ Ein guter Ausgleich wäre es einerseits Räume zu schaffen in denen die Kinder aktiv selbst gestalten und Erfahrungen sammeln können, wie z.B. in der Natur. Andererseits hilft das Angebot von gemeinsamen Aktionen wie backen oder Säfte auspressen, bei denen die Sinnesorgane gefordert sind.
Vom Begriff der „Generation Corona“ hält Claudia Schmidt-Troschke nichts. Kindheit ist eine unglaublich längere Spanne als ein, zwei Jahre. „Wir Menschen sind robust. Wir mussten immer schon mit Herausforderungen zurechtkommen und haben zahllose Möglichkeiten, damit konstruktiv umzugehen. Kinder brauchen dafür nur Bezugspersonen, die davon überzeugt sind“, so die tröstliche Botschaft.
*Auszug aus dem Artikel „Kinder und Jugendliche: was sie belastet und was ihnen hilft. Mit Corona aufwachsen“ von Andrea Freund, erschienen in der Zeitschrift „natur & heilen“, Ausgabe September 2021