Was es heißt, sich für ein Pflegekind zu entscheiden
Vor zwei Jahren durfte ich darüber erzählen, wie man durch Adoption Plötzlich Mama wird. Ziemlich ohne Vorwarnung ist ein kleines Wunder in unser Leben geplatzt. Nun habe ich ein zweites Mal das Vergnügen, über unsere außergewöhnliche Familienkonstellation zu schreiben, denn Wunder Nummer 2 wird in den nächsten Tagen bei uns eintreffen und es ist befreiend, mir meine Gedanken und Gefühle von der Seele zu schreiben.
Wir haben bereits ein Kind adoptiert
Der Hintergrund: Aufgrund einer Immunsystemstörung habe ich alle meine leiblichen Kinder während der Schwangerschaft verloren. Ein Leben ohne Kinder war für uns aber nicht vorstellbar, und deshalb haben wir den schwierigen Weg der Adoption – glücklicherweise erfolgreich – beschritten.
Unsere wunderbare Tochter ist nun zweieinhalb Jahre alt und das großartigste kleine Wesen, das man sich vorstellen kann. Ich hatte mir immer eine große Familie gewünscht – von drei bis vier Kindern hatte ich geträumt. Leider erfolglos. Eine Adoption weiterer Kinder in Österreich kommt nicht in Frage, es ist in Österreich nicht erlaubt, mehr als ein Kind zu adoptieren – Grund dafür ist, dass so extrem wenige Kinder zur Adoption freigegeben werden. Ein möglicher Ausweg ist eine Auslandsadoption. Die kam für uns aus verschiedenen Gründen nicht in Frage, unter anderem wegen sehr hoher Kosten und weil das Kind bis zur Fertigstellung aller behördlichen Dokumente im Herkunftsland bleiben muss, also meist bereits etwa ein Jahr oder älter ist, bis es in der Adoptivfamilie ankommt – wir wollten ein jüngeres Kind.
Ein Leben ohne Kinder war für uns aber nicht vorstellbar, und deshalb haben wir den schwierigen Weg der Adoption – glücklicherweise erfolgreich – beschritten.
Alternativ bleibt die Aufnahme eines Pflegekindes. Dieser Weg schreckt viele Menschen erst einmal ab – das Kind „gehört“ nicht fix zu einem, das Jugendamt ist immer mit dabei und über allem droht die Gefahr, dass das Kind wieder rückgeführt wird in seine Herkunftsfamilie – so lauten für viele die Argumente gegen die Aufnahme eines Pflegekindes. Nun, so schlimm, wie es sich oft anhört, ist das alles nicht: meldet man sich zur Dauerpflege (im Gegensatz zur Krisenpflege) an, dann vermittelt das Jugendamt nur Kinder, die aus Sicht des Jugendamtes keinesfalls zurück in die Herkunftsfamilie können. Selten entscheiden Richter anders – das passiert in nicht einmal 1 % der Fälle und dann nur bei sehr kleinen Kindern und zeitlich knapp nach der Abnahme durch das Jugendamt bzw. Übernahme durch die Pflegeeltern.
Ist ein Kind einmal gut eingelebt und hat eine gute Bindung zu seiner Pflegefamilie, dann widerspricht es dem Kindeswohl, einen weiteren Beziehungsabbruch zu verlangen und damit passiert eine spätere Rückführung in die Herkunftsfamilie so gut wie nie.
Allein in Wien müssen jährlich über 900 Kindesabnahmen stattfinden. Nicht alle führen notwendigerweise in die Pflege; primär wird ja versucht, den leiblichen Eltern Unterstützung zukommen zu lassen, damit sie sich stabilisieren und die Verantwortung für ihre Kinder wieder selbst übernehmen können. In vielen Fällen schaffen die leiblichen Eltern aber nicht, diese Hilfe anzunehmen und umzusetzen, und dann muss eine Pflegefamilie gefunden werden. Während der Zeit, in der abgeklärt wird, wie es weitergeht, leben kleine Kinder bei Krisenpflegefamilien; größere Kinder kommen in Krisenzentren. Soweit die Fakten.
Ausbildung zu Pflegeeltern
Wir haben also – pandemiebedingten Absagen und Schließungen zum Trotz – unsere Pflegeeltern-Ausbildung gemacht, die auch der Erstellung des Kinderprofils, also der Erarbeitung eine Liste von gesundheitlichen und biographischen Eckdaten, die das Kind mitbringen kann und mit denen man sich selbst umzugehen zutraut, beinhaltet. Möglichst klein sollte unser zukünftiges Pflegekind sein, damit unsere beiden Kinder einen Altersabstand ähnlich biologischen Geschwistern haben. Fast alle Pflegeeltern wollen kleine Kinder – weil es nicht leicht ist, ein älteres, traumatisiertes und vernachlässigtes Kind zu betreuen, oft sind die Schäden an Seele und Körper, die die Kinder erlitten haben, zu groß, als dass das Kind wieder in ein „normales“ Leben finden kann.
Oft sind die Schäden an Seele und Körper, die die Kinder erlitten haben, zu groß, als dass das Kind wieder in ein „normales“ Leben finden kann.
Wir haben uns also auf eine Wartezeit von mehreren Monaten eingestellt. Umso mehr sind wir vom Stuhl gefallen, als der Anruf des Jugendamtes exakt zwei Wochen nach unserer Freigabe als potentielle Pflegeeltern kam: ein vier Monate altes Baby braucht eine Familie.