„Nein“ aus Liebe zu mir? Warum es gut ist, wenn Eltern ihre Grenzen setzen

Darf ich meinem Kind sagen, dass ich gerade nicht mit ihm spielen möchte? Ist es in Ordnung, dass heute mal der andere Elternteil die Einschlafbegleitung übernimmt und ich mir in dieser Zeit ein Bad, ein gutes Buch oder einen Abend mit Freund*innen gönne? Darf ich meinem Kind sagen: „Nein“ – aus Liebe zu mir?

Diese Frage stellen sich viele Eltern, vor allem jene, die bedürfnis- und bindungsorientiert erziehen wollen. Wir haben ständig die Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen unserer Kinder im Blick, seltener aber die eigenen. Zur bedürfnisorientierten Beziehung gehört jedoch auch, den eigenen Bedürfnissen Raum zu geben. In einer bedürfnisorientierten Eltern-Kind-Beziehung zählen eben alle  Bedürfnisse, nicht nur die des Kindes. Und das ist auch wichtig.

In einer bedürfnisorientierten Eltern-Kind-Beziehung zählen eben alle  Bedürfnisse, nicht nur die des Kindes.

Weil unser Kind sonst zwar viel über seine eigenen Bedürfnisse lernt, nicht aber, dass andere auch Bedürfnisse haben. Und weil, wenn wir unsere Bedürfnisse und Grenzen ignorieren, wir irgendwann viel zu erschöpft sind, um noch gelassen, geduldig und liebevoll zu bleiben, um Wutanfälle zu begleiten oder in Dialoge zu gehen. Stattdessen schreien, nörgeln und schimpfen wir – und tun unserem Kind damit erstrecht weh.

Liebevolles, wertschätzendes Elternsein kann also nur gelingen, wenn wir uns trauen, auch auf uns zu schauen. Wenn wir unsere Bedürfnisse ernst nehmen und unsere Grenzen setzen. Das hat nichts mit überhöhtem Egoismus zu tun, sondern ganz viel mit Selbstwert und Selbstliebe. – Und mit der Liebe zu unserem Kind.

Kein Egoismus, sondern Selbstwert.

Denn wenn wir unsere Grenzen wetzschätzend und in Liebe setzen, tun wir unserem Kind nicht weh. Im Gegenteil, wir geben ihm Orientierung und wir werden spür- und sichtbar, wir werden ein Du. Ein Du, an dem es sich selbst, Beziehungen und die Welt erfahren kann. Unsere Grenzen geben Kindern Orientierung. Und sie sind Teil einer liebevollen, aber klaren „Leuchtturm“-Führung.

Bei den persönlichen, liebevollen Grenzen geht es nicht darum, Kinder „einzugrenzen“ („Du darfst das nicht…“, “Man macht das nicht!“), sondern darum, unsere Grenzen zu erspüren und sie möglichst klar zu artikulieren („Ich will das nicht.“, „Mir ist das gerade zu laut.“).

Davon ausgenommen ist übrigens das erste Babyjahr, denn da braucht uns unser Baby und ist vollkommen auf uns angewiesen. Doch auch hier dürfen wir für uns sorgen, Eltern, Großeltern, Freund*innen um Unterstützung fragen, Selbstfürsorge mit Eltern-Sein kombinieren (den Lieblingspodcast hören beim Kinderwagen schieben kann ich sehr empfehlen!).

Was bedeutet das nun für uns Eltern?

Das bedeutet, dass wir eingeladen sind, hinzuspüren und achtsam mit uns zu sein, unseren Bedürfnissen Raum zu geben, unsere Grenzen auszusprechen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Grenzen aussprechen ohne schlechtes Gewissen.

Jedes Mal wenn wir „Ja“ sagen, obwohl wir eigentlich „Nein“ meinen, geben wir uns her, wir erschöpfen uns und werden vielleicht irgendwann wütend. Wütend auf unsere Kinder, unseren Partner, unsere Partnerin – obwohl wir es waren, die uns hintenangestellt haben und obwohl die Verantwortung für die Erfüllung unserer Bedürfnisse allein bei uns liegt.

Ein „Nein“ nach Außen hingegen ist oft ein wunderschönes, kraftvolles „Ja“ nach innen, ein „Ja“ zu mir und meinen Bedürfnissen. Ich nehme mich selbst ernst. Ich sorge für mich. Und genau dieses „Ja“ zu mir ist ein wundervolles Geschenk an uns und unsere Kinder. Denn wir sind die Lernmodelle für unsere Kids, sie lernen an dem, was wir tun und wie wir es tun.

Wenn wir uns nicht trauen, für uns einzustehen, unsere Bedürfnisse zu äußern, in einen Dialog zu gehen, uns zu zeigen, für uns zu sorgen – wie sollen sie es dann lernen? Wir können ihnen jeden Tag vorleben, dass es wichtig ist, in sich hineinzuspüren, dass es okay ist, auch mal „Nein“ zu sagen, dass wir sichtbar werden dürfen für andere.

Wir können vorleben, dass es wichtig ist, auch einmal Nein zu sagen.

Gerade weil ihr euch auftankt, weil ihr Abgrenzung, Selbstliebe und -fürsorge vorlebt, seid ihr gute Mamas und Papas. Daher: Seid nett zu euch, jeden Tag, seid wertschätzend zu euch und euren Kindern. Geht so mit euch um, wie ihr es euch später für eure Kinder wünscht. Denn vieles, was sie für ein erfülltes Leben brauchen, lernen sie von euch.

Veranstaltungstipp

Wenn ihr mehr zu diesem Thema wissen möchtet oder wenn euch interessiert, wie ihr eure Grenzen authentisch, liebevoll, aber klar setzen könnt, besucht gerne mein Webinar „Liebevolle Grenzen setzen“ am 28. Februar 2022, wahlweise 9.30 – 11.00 Uhr oder 19.30 – 21.00 Uhr (€15,- pro Bildschirm oder 10€ im #Elternimpuls-Abo). Alle Infos findet ihr unter: www.beziehungsvoll.at/liebevolle-grenzen-setzen

Ich freu mich auf euch!

 

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Ein Artikel von

Portraitfoto Barbara Grütze

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