Unkonzentriert und vergesslich? Oft kommt es zur Fehldiagnose ADHS

Nicht jedes unkonzentrierte oder vergessliche Kind hat ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, oft kommt es zur Fehldiagnose ADHS. Wir haben die Checkliste mit den Verwechslungsgründen.

Der 7-jährige Raphael schreibt undeutlich, macht unzählige Fehler, überhört Anweisungen, spielt oft den Klassenkasperl und bekommt Tobsuchtsanfälle bei den Hausaufgaben. Der Lehrerin sind ADS und ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) bekannt, sie meint, Raphael sei davon betroffen.

Ein Irrtum! Laut ärztlicher Diagnose leidet Raphael an einer Seh- und Hörschwäche. Weil er nicht klar erkennt, was auf der Tafel steht, ist er nicht imstande, fehlerfrei abzuschreiben. Und weil er viele Anweisungen undeutlich hört, kann er diese nicht ausführen. So kommt es zu häufigen Fehlern. Verständlich, dass Raphael frustriert ist. Im Kindergarten war es ihm noch gelungen, seine Seh- und Hörschwäche zu kompensieren, ohne besonders aufzufallen. Erst der Leistungsdruck in der Schule bereitet ihm Schwierigkeiten.

Schwierige Diagnose

Symptome wie Unkonzentriertheit, Vergesslichkeit, Stimmungsschwankungen, motorische Unruhe und mangelnde Impulskontrolle werden nicht allein durch AD(H)S, sondern auch durch körperliche oder psychische Erkrankungen, Entwicklungsstörungen oder Nebenwirkungen bestimmter Medikamente oder Substanzen verursacht.

Mehrere Umstände erschweren die Diagnose. Erstens hat AD(H)S, weil etliche Gene bei dessen Entstehung eine Rolle spielen, unterschiedliche Erscheinungsbilder. Zweitens ist AD(H)S die Ursache für Folgeerkrankungen, deren Merkmale jene des ursprünglichen AD(H)S überlagern (z.B. Depressionen). Drittens gibt es bestimmte Erkrankungen, die mit AD(H)S einhergehen (z.B. frühkindliche Epilepsie). Viertens können bestimmte Lebensumstände ein Verhalten hervorrufen, das ADHS gleicht.

Schlafmangel?

Forscher haben nachgewiesen, dass Kinder und Jugendliche, die unter Schlafmangel leiden, tagsüber unkonzentriert, reizbar und rastlos sind. Schlaf ist wesentlich für das Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit, das Speichern von Informationen und emotionale Ausgeglichenheit. Übermüdung bedeutet noch kein AD(H)S.

Zuviel Elektronik – zu wenig Bewegung?

Die neuen Medien (Fernsehen, Internet) nehmen immer mehr Zeit in Anspruch. Studien haben gezeigt, dass Heranwachsende, die viele Stunden im Sitzen verbringen und einer elektronischen Reizüberflutung ausgesetzt sind, Konzentrationsprobleme haben und hyperaktiv sind. Sie leiden auch an Schlafstörungen, aber nicht unbedingt an AD(H)S.

Liegt es am Umfeld?

Um sich zu entfalten, brauchen Kinder stabile Beziehungen, liebevolle, einfühlsame Begleitung und klare Grenzen. Vernachlässigung, Mangel an Zuwendung und Verständnis, Misshandlungen (z.B. bei Heim- und Pflegekindern), aber auch ein permissiver Erziehungsstil verhindern eine sichere Bindung und hemmen Kinder in ihrer Entwicklung. Diese zeigen Verhaltensauffälligkeiten, die mit AD(H)S verwechselt werden können.

Ähnliche Symptome können durch traumatisierende Erlebnisse (Mobbing, Gewalt, Verfolgung, Flucht, Verlust oder Trennung) hervorgerufen werden. Auch hier keine Rede von AD(H)S!

Fehldiagnosen vermeiden

Wer sicher gehen möchte, sollte sich an SpezialistInnen wenden: FachärztInnen für Kinder- und Jugendheilkunde oder Kinder- und Jugendpsychiatrie oder PsychologInnen. Eine gründliche Diagnoseerstellung umfasst eine körperliche und neurologische Untersuchung (Ausschluss von organischen Erkrankungen und Hör- und Sehstörungen), psychologische Testverfahren, die Abklärung von Folgeerkrankungen (z.B. Depression) sowie die Befragung von Eltern und Betreuungspersonen zur Lebensgeschichte des/der Betroffenen.

Wichtig ist, herauszufinden, in welchem Alter die Symptome erstmals aufgetreten sind, und ob diese sich kontinuierlich zeigen. Im Gegensatz zu anderen Erkrankungen ist AD(H)S angeboren: Verhaltensauffälligkeiten müssten bereits vor dem 6 Lebensjahr, und an verschiedenen Orten (zu Hause, in der Schule, am Spielplatz, in der ärztlichen Praxis) feststellbar sein.

Checkliste: Womit ADS und ADHS häufig verwechselt wird

Entwicklungs- und Wahrnehmungsstörungen, Hochbegabung

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