Was können Eltern tun, wenn ihr Kind Opfer von Bullying geworden ist? Teil 2/2

Was versteht man unter Bullying - dieser noch mehr Fragen bin ich in meinem ersten Beitrag "Kann es sein, dass mein Kind Opfer von Mobbing/ Bullying geworden ist? Teil 1/2" nachgegangen.

In diesem Beitrag möchte ich in besonderer Weise auf die Rolle der Eltern in dieser schwierigen Situation eingehen.

Das Kind ist nicht schuld!

Zuallererst ist es wichtig, dem Kind zu vermitteln, dass es NIEMALS selbst schuld daran ist, zum Opfer geworden zu sein. Kinder, die drangsaliert werden, fühlen sich oft selbst minderwertig oder schuldig. Häufig wird dies auch so dargestellt.

Wie oft hört man von Erwachsenen, die einfach nicht mit in die Sache hinein gezogen werden möchten, die Aussage, dass das Opfer ja wohl auch in irgendeiner Weise „Schuld“ sein wird, oder zumindest etwas an sich haben wird, das andere dazu animiert, es auszusondern. Doch diese Annahme ist in jedem Fall falsch! 

Das Opfer trägt keine Schuld und es liegt nun an den Erwachsenen, es in jeder Hinsicht zu schützen und die Situation zu regeln.

Kinder, die Opfer von Mobbing geworden sind, können alleine nicht mehr aus der Situation herauskommen.

Nun gilt es ein Netzwerk aus Eltern und Lehrern zu bilden, aktiv auf die Klassenlehrer, die Schulleitung und die Eltern der Täter zuzugehen, um der Situation Einhalt zu gebieten. Zudem macht es Sinn, Vorgefallenes zu dokumentieren, um belegen zu können, wann, wo, mit wem und wie häufig gewisse Vorfälle aufgetreten sind. Wenn man als Eltern gemeinsam oder mit jemandem, der dem Kind sonst nahe steht (Paten, Onkel, Tante) auftritt, kann das zusätzliche Sicherheit bieten, denn gerade Situationen, die die eigenen Kinder schwer belasten, sind auch für uns Eltern nicht einfach.

Von der Elternseite auf die Expertenseite

Es ist für Kinder jeden Alters wichtig zu wissen, dass es niemals an ihnen gelegen hat, Opfer von Mobbing geworden zu sein. Weder eine bestimmte Verhaltensweise ihrerseits, noch das Aussehen, der Kleidungsstil oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität oder Religion, rechtfertigen die Handlungsweisen der Täter. Das muss Opfern und Tätern, wie auch Lehrern und anderen Erziehungs- und Aufsichtspersonen bewusst gemacht werden. Hier kann der Rat von Psychologen, Sozialarbeitern oder anderen außenstehenden, sachkundigen Berufsgruppen sinnvoll sein, um den Ball von der Elternseite hin zur Expertenseite zu spielen, um Hilfe und Schutz zu erhalten.

Das Handy der Kinder durchschauen

Zudem ist es heutzutage unerlässlich, regelmäßig das Handy der Kinder durchzusehen. Gerade in den sogenannten Klassenchats werden Dinge unter Schülern diskutiert, von denen wir Erwachsenen leider oft viel zu wenig Ahnung haben. Hier spielt sich auch Cybermobbing ab und daher ist es hilfreich als Eltern zu wissen, wer über wen und mit wem schreibt und welches die Inhalte sind, damit zum Beispiel auf Mobbing reagiert werden kann, bevor es Ausmaße annimmt, die im Nachhinein nur noch schwer zu kontrollieren sind.

 

Den Selbstwert stärkern

Weiters ist es hilfreich, den Selbstwert des Kindes von Klein an bereits zu Hause zu stärken, damit es nicht so leicht in die Opferrolle fällt. Dies gelingt auf unterschiedliche Art und Weise. Es würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen auf alles genau einzugehen, dennoch möchte ich einige wenige Beispiele anführen:

#1. Sich trauen, „Nein“ zu sagen

Dies ist eine Fähigkeit, die sich nicht von selbst einstellt. Sie muss erlernt und erlaubt (!) sein. Wer als Kind in der eigenen Familie erlebt, dass es in Ordnung ist, auch einmal „Nein“ zu sagen, Dinge, die andere als wünschenswert empfinden auch ablehnen zu dürfen, ohne danach Restriktionen oder Ablehnung zu erfahren, wird das auch als größeres Kind und als Erwachsener beherrschen.

#2. Andere um Hilfe bitten

Hilfe anzunehmen ist keine Schwäche, sondern erweist sich als Stärke. Das ist uns Erwachsenen leider oft nicht bewusst, und so  bestärken wir unsere Kinder manchmal zu wenig darin. Sobald ein Kind bedrängt wird, ist es hilfreich, dass es sich lautstark an seine Umgebung wendet. Es darf um Hilfe rufen oder laut schreien: „Das will ich nicht, du tust mir weh“. Dieses nach außen Rufen der inneren Not aktiviert das Umfeld und das „Nichtbeachten“ von Seiten der Umgebung fällt gleich schwerer.

#3. Die Arbeit am eigenen Auftreten

Kinder dürfen von Klein an dazu ermutigt werden, anderen, sobald sie angesprochen werden, direkt ins Gesicht zu sehen, den Blick nicht abzuwenden, oder sich hinter den Eltern zu verstecken.  Gerades sicheres Gehen durch eine Menge hindurch, lässt das Kind sofort sicherer und stärker wirken, als ängstliches um sich Sehen, oder den Blick auf den Boden gerichtet zu halten.

Dies gelingt aber nicht von heute auf morgen, es braucht viel Ermutigung und Übung.

Gerade bei eher schüchternen Kindern und jenen, die im Umgang mit anderen Kindern und Erwachsenen negative Erfahrungen gemacht haben (und das sind leider viele), fällt das manchmal sehr schwer.

#4. Kinder brauchen Ermutigung und Stärkung von Seiten Erwachsener

Ein familienfremder Erwachsener, zu dem das Kind Vertrauen hat, kann manchmal kleine Wunder vollbringen, wenn er dem Kind ehrlich sagt, dass er sich sicher ist, dass es eine aktuell schwere Situation bewältigen wird. Die eigenen Eltern glauben in der Regel immer an das Kind und werden nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, es zu ermutigen. Doch der Zuspruch eines Außenstehenden wiegt im Erleben des Kindes häufig mehr und kann es unglaublich stärken und ermutigen.

#5. Sich trauen, Wünsche und Meinungen kund zu tun

Auch Meinungen und Wünsche von Kindern sollen ernst genommen und angehört werden. 

Das Gehört-Werden gibt dem Kind das Gefühl der Selbstwirksamkeit und des Wichtigseins.

Und gerade das ist der Punkt bei Mobbing und Bullying: hat das Kind das Gefühl, dass es, wenn es sich an Erwachsene wendet gehört wird, dass ihm geglaubt wird und dass es Hilfe erhalten kann, wird es sich ziemlich sicher an sie wenden. Es wird nicht ewig versuchen, alleine mit der Situation klar zu kommen, sondern sich, sobald ihm die Situation zu unangenehm wird, jemanden, dem es vertrauen kann, zu Hilfe holen.

 

Die Familie als sicherer Hafen

In den Zeiten, in denen es unsere Kinder außerhalb der Familie schwer haben, ist es wichtig, dass wir, unseren Möglichkeiten entsprechend, versuchen, als Familie „einen sicheren Hafen“ zu bieten. Das heißt, dass wir dem Kind zu Hause die Sicherheit vermitteln, dass es hier bedingungslos geliebt, akzeptiert und anerkannt ist, egal was sonst gerade passiert. So gelingt es, hier gemeinsame Zeiten der Regeneration und des Gesprächs zu schaffen, um in der Widerstandsfähigkeit zu bleiben und gemeinsam aus der Situation so unbeschadet wie möglich herauszugehen, auch wenn das gerade im Fall von Mobbing und Bullying nicht einfach ist.

Als Psychologin habe ich bereits Situationen erlebt, in welchen auch Ärzte und Anwälte zu Rate gezogen wurden, um die Situation des Opfers, das bereits an massiven körperlichen, sozialen und psychosomatischen Auffälligkeiten litt, zu untermauern.

Es macht manchmal durchaus Sinn, das Kind zur Regeneration für eine kurze Zeit aus der Schule zu nehmen, um dann gemeinsam mit den verantwortlichen Lehrern Lösungen zu finden, die das Kind unterstützen und es ist in jedem Fall unerlässlich sicherzustellen, dass es vor den Tätern geschützt wird.

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