Wenn Eltern die Kinder vermissen und Kinder die Eltern
Vermissen. Ein großes Wort. Mir kommt dabei die englische Formulierung „missing link“ in den Sinn. Doch was ist Vermissen eigentlich und warum kann es schmerzhaft sein?
„Missing Link“ ließe sich jedenfalls als „fehlendes Bindeglied“ übersetzen. Es beschreibt also eine Zustand, in der eine Gefüge womöglich nicht mehr so funktioniert, wie bisher, ganz einfach weil ganz handfest etwas fehlt.
Abläufe kommen ins Wanken, Prozesse funktionieren anders.
Vielleicht ist es aber auch so, dass sehr wohl noch alles funktioniert. Aber eben weniger reibungslos, weniger selbstverständlich, weniger alltäglich. Auf Schritt und Tritt bemerkt man, dass etwas fehlt. Dieses „Fehlen“ ließe sich natürlich kompensieren, etwa mit übertriebener Geschäftigkeit oder dem Anhäufen von viel zu vielen Aufgaben.
Der Anlass für diesen Blogbeitrag ist jedenfalls – im Gegensatz zu den bisherigen eher abstrakten Überlegungen – recht handfest. Unsere „Kleine“, gerade eben erst 12 Jahre alt geworden, weilt derzeit auf Skiwoche. Das wiegt umso schwerer, da in diese Woche auch ihr Geburtstag fällt. Eine Tatsache jedenfalls, die sowohl uns als auch ihr zuvor schon bewusst waren.
Aber jetzt, am Tag ihres Geburtstags, fühlt es sich seltsam an.
Ihr Zimmer ist zu leer, der Tisch zu ungedeckt, die Party zu weit weg und auch der gemeinsame Geburtstagskuchen fällt in dieser Form ins Wasser. Dass sie eine gute Zeit mit ihren Freundinnen in der Schulskiwoche zu haben scheint, tröstet zwar uns und sie, macht die Sache mit dem Vermissen allerdings keinesfalls leichter.
Besonders intensiv wurde das Vermissen – auch beiden Seiten – als wir ihr liebevolle Geburtstagsgrüße schickten, inklusive der impliziten Formulierung, dass der Tag und Zeit ohne sie nicht dieselbe sei. Das ist aber eben die Erkenntnis: Man hat sich als Familie genau in dieser oder jener Weise eingelebt und zusammengelebt!
Das Fehler einer Person macht den entscheidenden Unterschied!
Womöglich ist das aber auch eine gute Erfahrung: Man merkt, dass es zwar temporär ohne einander gehen würde und man merkt auch, dass manchmal kurzzeitiger Abstand voneinander gut tut, wenn es zuvor zu Konfliktsituationen kann. Aber schnell folgt auch eine damit einhergehende Erkenntnis: Auch in diesen Momenten der Reibung oder Aufreibung ist es gut, dass man einander hat! Denn nach einer gewissen Zeit des Vermissens und das Abwesend-Seins, beginnt man sogar solche Momente zu vermissen, in denen es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit immer wieder zu Konflikten kommt.
Doch zurück zu dieser Skiwoche, die den entscheidenden Anstoß für diesen Beitrag gab: Diese ist bald wieder vorbei. Und man hatte gut Zeit – sowohl auf Eltern- als auch Kindesseite – wohl darüber nachzudenken, was man aneinander hat. Womöglich versucht man, den ersten Tag der Wiedervereinigung positiver anzugehen. Vielleicht kann man über Konflikte hinweg sehen? Vielleicht kann man Situationen, die normalerweise zu Reibereien führen, positiv betrachten und diesen einen anderen Anstrich geben, indem man etwa anders handelt es sonst üblich?
Vielleicht gelingt es, diese Zeit produktiv zu nutzen.
Um festzustellen, dass Familie und Zusammenleben unter einem Dach natürlich herausfordernd sein kann. Familie ist - so könnte eine Erkenntnis lauten – einfach ein riesengroßes Abenteuer mit Akteuren, die alle Fehler und Macken haben. Auch Eltern sind keine Superhelden und Kinder auch nicht – zumal sie sich ja auch erst im Leben ausprobieren dürfen und enormen „Verwandlungen“ durchmachen.
Es geht um mehr Verständnis füreinander.
Aber unter Umständen auch um „Optimierungen“ im Zusammenleben, denn dieses soll nicht zur dauerhaften Belastungsprobe werden. Es soll – neben schwierigen und herausfordernden Momenten – auch leichtfüßig, schön und sonnig sein. Es soll unbeschwert sein dürfen, selbstverständlich, leicht und dennoch von einer großen Wertschätzung getragen.
Dass wir das wieder ein wenig mehr erkennen, wünsche ich mir, wenn unsere Tochter demnächst aus der Skiwoche heimkehren wird. Die Zeit hat uns gut getan, aber auch deutlich gezeigt, was wir aneinander haben und dass es ohne einander keinesfalls geht.