Erziehung ist (k)ein Kinderspiel: Machtkampf-Eskalationen entschärfen helfen

Wie können Eltern einander den Rücken stärken und Machtkampf-Eskalationen mit dem Dreikäsehoch entschärfen?

Vor lauter Übermut schmeißt klein Leopold, 2, seinen Apfel durch das Wohnzimmer. Der Vater, streng: „Heb‘ den Apfel auf!“ Doch der kleine Junge denkt nicht daran. Übermütig läuft er davon. Der Vater, verärgert, wiederholt seine Anweisung. Trotzig stellt sich Leopold hinter das Sofa. Jetzt wird der Vater laut und bedrohlich: „Jetzt hebst du sofort den Apfel wieder auf! Wird’s bald?!“ Der Kleine erstarrt hinter dem Sofa, der Vater schnaubt vor Wut. Soll er sich diesen grundlosen Widerstand von seinem Dreikäsehoch gefallen lassen? Für ihn bedeutet es Kontrollverlust, Machtverlust, Gesichtsverlust. Wenn man alles durchgehen lässt, was wird dann in zehn oder fünfzehn Jahren sein? 

Die Mutter letztlich steht daneben und sieht, wie es auf beiden Seiten immer mehr eskaliert und der Vater von einem brüllenden Kleinkind erwartet, dass es sich auf Kommando beruhigt und gehorcht.

„Jetzt übernehme ich!“

Da schreitet sie ein und sagt: „Jetzt übernehme ich!“ Der Vater resigniert und dreht zum Abkühlen eine Runde um den Häuserblock. Die Mutter nimmt den schluchzenden Leopold in die Arme und sorgt dafür, dass er sich wieder beruhigt. Dann sagt sie sanft, aber bestimmt zu ihrem Jungen: „Komm, jetzt gehen wir den Apfel aufheben!“. Und so geschieht es. Gemeinsam wird der Apfel aufgehoben, in die Küche getragen, abgewaschen, auf einem Teller in feine Scheiben geschnitten und verspeist. Als der Vater wiederkommt, wird kein Wort mehr darüber verloren. Erst am Abend haben die Eltern eine Besprechung unter vier Augen.

Dank ihrer emotionalen Nähe und ihrem Feingefühl hat die Mutter kein Problem mit ihrem Jungen. Wenn ihr etwas wirklich wichtig ist, dann hört er auf sie.

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Trügerische Problemlösung

Auf der einen Seite ist der Vater froh, dass seine Frau solche Situationen zu meistern weiß, auf der anderen Seite fühlt er sich als Versager und irgendwie bloßgestellt. Die guten Tipps seiner Frau erwecken noch dazu einen leisen Groll in ihm. Was wird es mit ihrer Paarbeziehung machen, wenn sie ihm das Problem scheinbar abnimmt, aber unbeabsichtigt gleichzeitig seine Autorität untergräbt? Und was wird das Kind dabei lernen? Unbewusst wird es sich sagen: „Der Papa ist bös! Auf den Vater muss ich nicht hören! Die Mama wird mich schon ‚retten‘!“ 

Dem ist entgegen zu halten, dass es sich hier um einen aktiven, liebevollen Vater handelt. Aber durch das Verhalten seines Sohnes fühlt er sich immer öfter „genervt“, was er ihm dann auch sehr abweisend sagen kann.

Unterschiedliche Herangehensweisen

Es ist natürlich, dass beide Eltern unterschiedliches Temperament, unterschiedliche Herkunft und eine unterschiedliche Art haben, mit dem Kind umzugehen. Diese Verschiedenheiten gilt es zunächst einmal anzuerkennen.

Kind heult

Dieser Vater legt Wert auf Disziplin und Gehorsam. Ihm fehlt die einfühlsame, oft mit Humor gewürzte Art, brisante Situationen locker zu lösen. Sein Anliegen ist aber durchaus berechtigt, dass der Sohn den Apfel wieder aufhebt, den er übermütig und ein wenig provozierend in hohem Bogen von sich geschmissen hatte. Dass dieses unbewusste Testen von Grenzen zur ganz normalen kindlichen Entwicklung dazu gehört, das ist ihm in diesem Moment ganz egal und er lässt sich in den kindlich provozierten Machtkampf hineinmanövrieren, weil er es nicht besser weiß.

Ein gutes Elterntraining (wie zum Beispiel der ABC-Elternführerschein) könnte ihm dabei helfen, kritische Situationen auf mehr empathische Weise zu meistern.

Dem Partner/der Partnerin den Rücken stärken

Es klingt altmodisch, aber es schafft Klarheit und stärkt die elterliche Beziehung. Ich empfehle der Mutter, womöglich schon früher einzuschreiten, zum Jungen hinzugehen, freundlich aber bestimmt zu sagen: „Hast du gehört, was Papa gesagt hat? Du darfst nicht mit Äpfeln schmeißen! Heb ihn wieder auf!“ Danach gehen sie zu Papa und der Junge sagt: „Entschuldigung!“ Der Apfel wird abgewaschen oder entsorgt, je nachdem, der Teppich mit einem feuchten Tuch abgewischt.

Die Mutter als Mediatorin

Die Mutter könnte sich auch als Mediator einbringen, z.B. indem sie zunächst nur die Situation beschreibt: „Du, Leopold, du hast den Apfel ganz übermütig weggeschmissen und Papa möchte, dass du ihn aufhebst.“ Vermutlich wird das Leopold nicht auf Anhieb überzeugen. Daher muss sie seinen Widerstand würdigen: „Du hast aber gerade jetzt keine Lust, zu tun, was Papa sagt! Aber eines ist klar: kleine Kinder müssen folgen!“ Kurze Pause, um Druck heraus zu nehmen und einen möglichen Widerstand abzufedern. Dann: “Komm, zeig deinem Vater, dass du ein braver Junge sein kannst!“

 

Vielleicht muss sie den Junior, der ja noch sehr klein ist, ein wenig unterstützen: „Komm, ich helfe dir!“ Gemeinsam heben sie den Apfel auf und bringen ihn zum Vater. Dieser kleine Akt der Selbstüberwindung wird gewürdigt: „Leopold hat gezeigt, dass er auch folgsam/brav sein kann.“ Dann geht es ab in die Küche.

An einem Strang ziehen und einander unterstützen

Wenn der Vater spürt, dass seine Autorität gewürdigt wird, wird es ihm leichter fallen, von seiner Frau zu lernen. Sowohl die Beziehung zum Sohn als auch zu ihr werden gestärkt und die elterliche Autorität wird positiv konnotiert. Wenn das Kind passend zu den jeweiligen Situationen Botschaften hört wie „Du musst Mama und Papa folgen“, aber auch „Du darfst auch deine unangenehmen Gefühle ausdrücken“, „Wir akzeptieren dich wie du bist“, „Du wirst gehört“, „Du darfst mitreden“, dann wird das Folgen zu einem Akt der Liebe und des Respekts und nicht der Unterwerfung. Wenn dieser Entwicklungsschritt idealerweise schon bis zum dritten Lebensjahr gelernt wird, erfährt das Kind Halt und Orientierung auf dem Weg in die Selbstständigkeit und Erziehung wird zur Freude für alle Beteiligten.

Positive väterliche Autorität stärkt und schützt

Weil sie Angst davor haben, ihr Kind zu unterdrücken, verzichten viele Eltern auf das Grenzen setzen zum rechten Zeitpunkt, in rechter Weise, und riskieren damit, dass ihr Sohn oder ihre Tochter ihnen mit Eintritt in die Pubertät entgleitet, sich nichts mehr sagen lässt, vielleicht sogar unwiderrufliche Schäden in seiner oder ihrer Entwicklung nimmt. 

Die väterlichen Werte wie Regeln, Ordnung, Wertevermittlung, die durchaus auch von der Mutter verkörpert werden können, sorgen dafür, dass sie, Hand in Hand mit Fürsorge, Empathie und Mitsprache die Basis für gelingende Erziehung werden und das Familienleben von Liebe, Vertrauen und Respekt geprägt wird.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Maria Neuberger-Schmidt

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