87 Corona-Todesfälle. Eine namenlose Zahl. Fast.
Unser Alltag hat sich geändert. Dinge, wie eine Filtermaske und Abstandseinhaltung zu anderen Personen gehören ebenso dazu wie die Zahl der Corona-Todesfälle. Katharina Ritter-Schardt ist Lehrerin und erzählt die Geschichte eines Schülers, der seine beiden Großväter an Covid verloren hat.
Haustürschlüssel, Handy, Geldbeutel und Maske. Routiniert greife ich nach diesen vier Gegenständen bevor ich das Haus verlasse. Kurz wundere ich mich: Der Mund-Nasen-Schutz ist inzwischen ebenso wie der tägliche Blick auf die 7-Tage-Inszidenzwert ganz selbstverständlich in meinen Alltag eingezogen. Hoffnung gibt mir, dass ich wie viele Menschen in meinem Umfeld inzwischen geimpft bin und deutlich weniger Menschen an oder mit Corona sterben. Verunsicherung weckt bei mir die erneut hohe Inzidenz meiner Heimatstadt. Wenn ich sie auf der städtischen Homepage abrufe, fällt mein Blick noch auf eine andere Zahl: 87 Corona-Todesfälle. Eine namenlose Zahl. Fast.
Ich denke an die Nachricht eines Schülers, die mich kurz vor Weihnachten erreichte:
„Meinem Opa ging es seit Montag sehr schlecht und er ist am Donnerstag gestorben. (...) Mein anderer Opa liegt auch auf der Intensivstation im Krankenhaus.“
„Ich bin J., 11 Jahre alt, und hatte bis vor Kurzem noch zwei Opas. Mein Opa H. war 81 Jahre alt und lebte bei uns in der Nähe im Seniorenzentrum. Am 11.12.2020 bekamen wir den Anruf, dass er sich mit Corona infiziert hat.
Am 11.12.2020 bekamen wir den Anruf, dass er sich mit Corona infiziert hat.
Wir dachten er packt es, weil er außer einem Schlaganfall vor fünf Jahren nichts anderes an Krankheiten hatte. Am 17. Dezember 2020 ist er leider schon gestorben. Das ging alles so schnell. Meine Eltern konnten sich noch von ihm verabschieden. Ich leider nicht mehr, da ich an diesem Tag in der Schule war. Deshalb haben wir mit der Familie am geschlossenen Sarg im Bestattungshaus Abschied genommen. Es brannten überall Kerzen und wir konnten Opa noch einmal auf ein Herz Dinge schreiben, die uns wichtig waren und die wir ihm sagen wollten.
Diese Herzen wurden auf den Sarg geklebt. Ich durfte auch mit Handschuhen den Sarg noch einmal berühren und meinem Opa Tschüss sagen. Dabei fühlte ich mich nicht gut, ich war traurig. Im Anschluss haben wir mit der Familie die Urne gestaltet. Jeder hat etwas drauf geschrieben oder gemalt. Wir haben uns einen schönen Spruch von Franz von Assisi ausgesucht: "Der Tod ist das Tor zum Licht, am Ende eines mühsam gewordenen Weges." Meine Cousine hat ein Tor gemalt. Wir alle haben Fingerabdrücke auf die Urne gemacht und unsere Namen darunter geschrieben.
"Der Tod ist das Tor zum Licht, am Ende eines mühsam gewordenen Weges."
Als wir dann nach Hause gefahren sind, habe ich mich gut gefühlt. Es hat gut getan, noch einmal bei Opa gewesen zu sein und für ihn etwas gemacht zu haben.
Es war schön, die Urne bei der Beerdigung wieder zu sehen. So war die Beerdigung für mich nicht ganz so traurig und schlimm.
Meinem anderen Opa M. erging es ähnlich. Er war generell sehr krank. Am 5.12. musste er ins Krankenhaus, da es ihm nicht gut ging. Er bekam einen Schnelltest, der negativ war. Ungefähr 6 Tage später wurde er wieder nach Hause entlassen. Doch er war nur 4 Tage zuhause und dann musste er schon wieder ins Krankenhaus. Doch diesmal war der Schnelltest positiv. Dann hatten wir natürlich Angst um ihn und meine Oma. Wir dachten er stirbt und haben uns schon innerlich von ihm verabschiedet. Doch meine Oma sagte am 22.12.2020, dass man wieder hoffen kann. Die Ärzte planten eine Operation. 2 Tage später wollten wir zu meiner Oma fahren, um Weihnachten zu feiern. Wir durften zuvor einen Schnelltest machen. Dieser war dann bei mir und meinen Eltern positiv. Also gingen wir nicht zu meiner Oma. Wir mussten zu Haue bleiben.
Am 26.12.2020 erhielten wir den Anruf, dass mein Opa sterben wird. Und am 27.12.2020 ist er dann gestorben. Meine Oma durfte sich im Krankenhaus von Opa verabschieden. Wir nicht mehr. Wir waren ja in Quarantäne. Das war schrecklich. Meine Oma war sehr traurig darüber. Wir alle auch.
Wir wollten trotzdem eine Urne für Opa M. gestalten. So wanderte die Urne von Familie zu Familie. Am Ende waren wir dran. Ich klebte ein Bild auf die Urne, auf dem Opa und ich in Hamburg auf der Landungsbrücke stehen und lachen. Außerdem schrieb ich ihm auf die Urne, was ich an ihm bewundere und woran ich immer denken werde. Meine Eltern malten und schrieben auch etwas. Meine Mama schrieb ihrem Papa noch einen Brief und legte ihn in die Urne."