Hilfe! Wie erzieht man Jungs geschlechtsneutral?
Bei Mädchen ist es einfach: Sie dürfen rosa sein und glitzern, müssen aber nicht. Sie dürfen mit einem Puppenwagen durch die Straßen spazieren, können aber auch auf einem Bobbycar wild vorbeiflitzen. Heutzutage ist es klar: was Jungs können und dürfen – können Mädchen genauso. Doch wie sieht es andersherum aus?
Ich bin mir gar nicht sicher, ob geschlechtsneutrale Erziehung wirklich der richtige Ausdruck ist. Vielleicht würde der Ausdruck stereotypfrei oder klischeefrei besser passen.
Natürlich will ich meine Kinder nicht ohne Geschlecht erziehen. Meine einjährige Tochter heißt Heidi, ein klassischer Mädchenname, selbstverständlich ihrem biologischen Geschlecht entsprechend. Mir ist auch die Geschlechtsidentität wichtig. Meine Tochter soll sich als Mädchen fühlen. Es ist nur die Frage, welches Rollenbild sie von „ich bin ein Mädchen“ hat.
Gerade bin ich in der 20. Schwangerschaftswoche, in Kürze werde ich hoffentlich erfahren, ob ich einen Jungen oder ein Mädchen erwarte. Eigentlich gibt es in unserer Familie bereits einen Mädchenüberschuss. Ich habe drei kleine Schwestern, weit und breit sind in unserer Familie keine Burschen zu finden. Und eigentlich wäre es auch dringend an der Zeit, dass endlich mal eine Junge nachkommt, aber ehrlich gesagt, war ich bei meiner „Großen“ froh, dass sie ein Mädchen ist.
Ich hatte ein tolles Schweizertaschenmesser, mit dem ich gerne im Wald gewerkt habe. Und trotzdem war ich ein richtiges Mädchen.
Wie man sich denken kann, sind alle „Erbstücke“ – sei es Kleidung oder Spielsachen, die in der Familie weitergereicht werden – „Mädchen-Sachen“. Darum überlege ich schon seit Beginn der Schwangerschaft, was eigentlich geschlechtsneutral ist und weiterverwendet werden kann und was doch zu „mädchenmäßig“ ist.
Ich selbst mochte nie sonderlich rosa. Ich habe auch kaum mit Puppen gespielt. Ich hatte ein tolles Schweizertaschenmesser, mit dem ich gerne im Wald gewerkt habe. Ich liebte Kleidung in camouflage. Und trotzdem war ich ein richtiges Mädchen.
Mir ist wichtig, dies auch an meine Tochter weiterzugeben. Wenn ich neue Kleidung kaufe, genieße ich die große Auswahl, da ich sowohl die Burschen-, als auch die Mädchenabteilung, durchforsten kann. Meiner Meinung nach ist es bei Einjährigen wirklich vertretbar ein Mädchen in eine Jeans-Latzhose aus der Jungenabteilung zu stecken. Falls mal ein Outfit wirklich nach „ich bin ein Junge“ schreit, kann es schnell mit einem rosa Mützchen gerettet werden.
Als meine Tochter frisch geboren war, ist mir aufgefallen, dass gerade ältere Leute ohnehin immer davon ausgegangen sind, dass das Baby ein Junge sei. Keine Ahnung wie oft ich gehört habe „Mei is er liab!“ – komplett unabhängig, ob sie knallpink oder olivgrün angezogen war.
Das mit den Farben ist ohnehin so ein Thema. Hier gibt es eine nette Anekdote aus meiner Arbeit bei der Aktion Leben Salzburg. Wir haben eine Kindersachenbörse, wo Familien mit Babykleidung ausgestattet werden können. Bei uns erhalten die Klienten allerdings kein fertig gepacktes Babysachenpaket, sondern es wird in der Beratung eine Bedarfsliste erhoben und anhand der, dürfen sie sich die Kleidung in entsprechender Größe selbst aussuchen. Vor einigen Jahren hatten wir eine Afrikanerin in der Ausgabe, die gerade einen Jungen geboren hatte. Zu unserer Verwunderung suchte sie mit Freude und Begeisterung lauter hellrosa Kleidung aus. Es herrschte kurz Verwirrung, ob sie vielleicht doch eine Tochter bekommen hatte, aber nein – es war ein Junge und sie kleidete ihn rosa. Vermutlich war in ihrer Heimat rosa die Farbe der Jungs, oder der Neugeborenen. Hätten wir ihr ein Kleidungspaket zusammengestellt, wären die Sachen sicherlich blau und grün gewesen und sie bitterlich enttäuscht, wie sie nur diese Farben ihren Sohn anziehen soll.
Warum sind Schmetterlinge und Blumen eigentlich nur etwas für Mädchen? Habt ihr in den letzten Jahren Jungenkleidung mit derartigem Aufdruck gesehen? Ich nicht und ich verstehe absolut nicht warum? Was gibt es denn neutraleres als Natur?
Doch geschlechtsneutrale Erziehung ist weit mehr als Kleidung. Hier geht es auch darum, welches Spielzeug ich Kindern zum Spielen gebe und welche Rollenbilder ich ihnen vorlebe.
Ich habe mir fest vorgenommen, dass falls meine „Nummer Zwei“ ein Junge wird, ich nichts anders machen werde, wie bei meiner Tochter. Er wird 1:1 dasselbe Spielzeug verwenden dürfen. Meine Tochter hat zu ihrem ersten Geburtstag ein „Werkstatt-Lauflernwagen“, statt dem klassischen „Lauflern-Puppenwagen“, bekommen. Sie hämmert nun mal sehr gerne. Vielleicht wird es bei einem Sohn also Zeit, dass er dafür den Puppenwagen bekommt – das Werden wir sehen, wofür er sich interessiert.
Ich verstehe es wirklich nicht – aber alleine der Gedanke, meinen Sohn in einen rosa Fleece-Anzug zu stecken, fühlt sich verkehrt an.
Beim Thema Kleidung wird es allerdings schwieriger. Sobald das Kind mitreden kann und zum Ausdruck bringen kann, was ihm gefällt und was nicht, hat es aus meiner Sicht freie Hand. Ein Sohn darf also auch etwas mädchenmäßiges anziehen, wenn es ihm gefällt. Aber solange er dies nicht zum Ausdruck bringen kann, werde ich mich doch an unseren gesellschaftlichen Normen orientieren. Ich weiß auch nicht genau, was mich davon abhält einen frischgeborenen Jungen in den rosa Fleece-Anzug der Schwester zu stecken. Ich verstehe es wirklich nicht – aber alleine der Gedanke fühlt sich verkehrt an. Hin und wieder wird sicher Mädchen-Kleidung der Schwester weiterverwendet werden, zum Beispiel bei Bodys oder Socken, wo es nicht so dominant ist.
Aber irgendwas stimmt da nicht, wenn ich meiner Tochter sorgenfrei Jungenkleidung anziehe – aber ich andersrum ein dumpfes Gefühl bekomme, oder?
Das wichtigste bleibt aber, die Interessen der Kinder zu fördern und beiden Geschlechtern dieselben Grundkompetenzen mitzugeben. Alle sollen nähen, hämmern, sägen und bügeln lernen. Weder möchte ich ein Kind großgezogen haben, das keinen Nagel einschlagen kann, noch ein Kind, das seinen Knopf nicht selber annähen kann – ganz egal ob Junge oder Mädchen.