Zu viel geredet? - Wenn Worte überfordern

Wenn wir eine wertschätzende Beziehung auf Augenhöhe zu und mit unseren Kindern leben wollen, geht damit oftmals der Gedanke einher, dass wir unseren Kindern möglichst viele unserer Entscheidungen erklären sollten. Wieso sie Steine, Sand, Erde oder das Lieblingsspielzeug des älteren Geschwisterchens besser nicht in den Mund nehmen sollten, weshalb jetzt Schlafens-, Hausübungs- oder Zähneputzzeit ist, wieso es eine gute Idee ist, den Nachmittag auf den Spielplatz zu verbringen – oder eben nicht. Oder auch, weshalb eine vierte Kugel Eis unter Umständen zu viel sein könnte.

Gegen all diese Erklärungen spricht grundsätzlich nichts. Sie helfen unseren Kindern, uns und die Welt in ihren Zusammenhängen zu verstehen. Viele von uns haben noch den Satz unserer Eltern im Kopf: „... weil ich es so sage!“ und wollen es unter allen Umständen anders, besser machen.

Wir wollen unseren Kindern auf Augenhöhe begegnen, unsere Entscheidungen, Wünsche und Bedürfnisse begründen, nicht einfach über sie hinweg entscheiden.

Kinder suchen auch von sich aus Erklärungen, fragen nach oder wollen gerne etwas von uns eingeordnet haben. Die Auseinandersetzung, die Gespräche mit unserem Kind tragen in sich das Potential einer wunderschönen Form der Verbindung - wenn es beide gerade gut geben und nehmen können.

Oft jedoch kommt es vor, dass wir es in unseren guten Absichten übertreiben und zu viel reden, anstatt zu handeln und Modell für unsere Kinder zu sein. Das merken wir vor allem daran, wenn unser Kind auf unsere Worte wütend reagiert, sich die Ohren zuhält, komplett aussteigt, in den Widerstand geht oder sich uns angrinsend doch den Stein in den Mund steckt. Was provokativ ankommen kann, ist in der Regel kein Zeichen schlechten Benehmens, sondern ein Zeichen der Überforderung.

Denn schwierig wird es vor allem, wenn wir unseren Kindern entweder zu viel erklären - weil ihr Gehirn ja alles, was wir sagen, irgendwie verarbeiten muss und weil letztlich jede Erklärung, jede Fragestellung eine Herausforderung für sein sich entwickelndes Gehirn darstellt - oder wenn wir mit unserer Erklärung eine Erwartung verbinden. - Wenn wir also bewusst oder unbewusst erwarten, dass unser Kind nach unserer Erklärung kooperiert. Es geht also beispielsweise gerne vom Spielplatz nach Hause, weil wir ja verständlich erklärt haben, dass es sonst zu spät wird und sich das Abendprogramm nicht mehr stressfrei ausgehen wird. Oder es lenkt ganz vernünftig ein: „Achso, deshalb sollte ich nicht noch ein Eis essen. Alles klar! Danke!“, oder: „Ja, das stimmt natürlich, ich sollte jetzt wirklich ins Bett gehen, sonst bin ich morgen tatsächlich zu müde. Danke, dass du mir das so erklärt hast.“

Bei diesen Beispielen wird einem schon bewusst: ganz so einfach ist es leider nicht. Gerade Einjährige sind noch gar nicht in der Lage, Gesagtes so umzusetzen, dass unsere Erklärungen fruchten würden.

Und auch ältere Kinder bis hin zu Jugendlichen sind oft mit unseren Worten überfordert, vor allem, wenn sie sehr moralisierend daherkommen, wenn unsere Kinder schon müde sind, oder wenn sie gerade heraufordernde Phasen durchmachen (Stichwort „Wackelzahnpubertät“). 

Kaum ein Kind reagiert dann in der Regel so verständnisvoll auf unsere Erklärungen. Im Gegenteil: Wenn wir mit Kindern wie mit Jugendlichen oder Erwachsenen sprechen, überfordern wir sie oft, weil sie das Erklärte noch gar nicht verstehen, einordnen und verarbeiten können.

Kindliche Gehirne funktionieren anders

Sie denken noch nicht rational. Sie lernen nicht so sehr durch Erklärungen, sondern vor allem durch Beobachtung und Nachahmung. Sie tun letztlich das, was wir ihnen tagtäglich vorleben, nicht das, was wir ihnen lang und breit erklären.

Die emotionalen Anteile in ihrem Gehirn sind viel ausgeprägter, als die rationalen. Die Enttäuschung darüber, kein viertes Eis zu bekommen wird somit meistens mehr wiegen, als jede rationale Erklärung. Nicht, weil sie so „trozig“ sind, sondern weil ihr Gehirn es (noch) nicht anders verarbeiten kann.

Zu vielem, was wir ihnen erklären, haben sie zudem noch keine Bilder: Was bedeutet zum Beispiel „zu spät kommen“? – Wir benutzen diese Erklärung ganz selbstverständlich um damit zu implizieren, dass unser Kind sich beeilen soll, aber ein Vierjähriges fängt mit diesem Bild vielleicht noch gar nichts an. Davon auszugehen, dass diese Erklärung dazu führt, dass sich unser Kind schneller anzieht, wäre somit viel zu viel erwartet. Eine Überforderung.

Wenn diese Art der Überforderung sehr lange anhält, kann sie bei Kindern zu vermehrter Unruhe, Wutausbrüchen oder Verweigerung führen. Wir meinen es gut und erzeugen damit das Gegenteil: ein Kind, das wütend oder verzweifelt ist und so gar nicht mitmacht.

Kinder brauchen Sicherheit. Und die können wir ihnen durch jene liebevolle „Leuchtturm-Führung“ (Jesper Juul) geben, die einer gewissen Klarheit bedarf und die ihnen eine verlässliche Orientierung bietet.

Kinder brauchen Eltern, die Orientierung geben, auf die sie sich verlassen können.

Wir Eltern tragen die Verantwortung darüber, wann wir beispielsweise vom Spielplatz nach Hause gehen, dass unser Kind seine Zähnchen putzt oder unser Einjähriges nichts isst, was es nicht essen soll.

Wir können es natürlich erklären - aber die Verantwortung bleibt bei uns. Nur so können wir unseren Kindern die nötige Sicherheit geben: Ich sorge für dich.

Beobachtet mal, wie oft ihr eurem Kind etwas erklärt, wo oder wann es diese Erklärungen vielleicht schon gut nehmen kann und wo oder wann noch nicht. Und da, wo es die Erklärungen nicht nehmen kann, kommt ins Handeln.

Unserem Einjährigen können wir natürlich „Stopp“ oder „Nein“ sagen, wir dürfen auch kurz erklären, weshalb wir das tun, aber auch hier ist das Entscheidende, dass wir den Stein liebevoll und klar aus dem Mund nehmen und das darauf folgende Gefühl begleiten.

Dasselbe gilt für ältere Kinder. Ihr dürft gerne erklären, aber wenn euer Kind nicht auf eure Worte reagiert, weil es beispielsweise zu vertieft in seine aktuelle Tätigkeit ist, kommt auch hier liebevoll und klar ins Handeln. Geht aktiv zu eurem Kind, berührt es sanft, geht auf seine Augenhöhe, damit euer Kind überhaupt richtig auf euch aufmerksam wird, euch wirklich hört und sieht. Geht in Verbindung, zum Beispiel über die Berührung oder über euer aufrichtiges Interesse, an dem, was er gerade macht und gebt ihm die nötige Hilfestellung, die es gerade braucht.

  • Wenn euch wichtig ist, dass das Kinderzimmer abends aufgeräumt wird, fangt einfach selbst damit an. Macht euch schöne Musik an, verbreitet idealerweise gute Laune dabei. Die Chancen, dass euer Kind euch beobachtet und schließlich mitmacht, sind viel höher, als wenn ihr lang und breit erklärt, weshalb euer Kind mithelfen sollte. – Und schließlich sind es ohnehin meistens wir, die die Ordnung lieben.
  • Wenn ihr die Hausaufgaben mit eurem Kind machen wollt, fangt ganz selbstverständlich damit an, Hefte, Stifte, einen guten Snack oder ein Getränk herzurichten.
  • Wenn ihr vom Spielplatz aufbrechen wollt, beginnt damit, die Sachen einzuräumen.

Wenn Zeit zu Baden ist, lasst das Badewasser ein und richtet Badespielsachen her.

  • Und dann schaut einmal, was euer liebevolles, klares Handeln mit eurem Kind macht.

Solltet ihr bisher viel Streit um all diese Dinge gehabt haben, kann es natürlich sein, dass euer Kind nicht sofort einsteigt. Dann braucht es von eurer Seite ein wenig Geduld.

  • Tut euch etwas Gutes, wenn euer Kind nicht sofort kommt, dann lässt es sich leichter aushalten. Am Spielplatz nochmal das Gesicht in die Sonne halten, neben den vorbereiteten Utensilien für die Hausaufgaben euren Kaffee trinken zum Beispiel.

Tun statt Reden, könnte das Versuchsmotto lauten.

Denn durch unser Handeln geben wir unserem Kind Sicherheit, Vertrauen, Führung und Liebe.

Online-Workshop

Wenn ihr mehr zu diesem Thema wissen wollt, besucht gerne meinen Online-Workshop „Wie erreiche ich mein Kind, ohne zu Schimpfen? - Präsenz, Körpersprache und Authentizität im Umgang mit Kindern“ am Freitag, den 16. Juni 2023, wahlweise von 9.30-11.30 Uhr oder von 19.30-21.30 Uhr für 20€ pro Bildschirm (oder inkludiert im Abo #Elternimpulse: https://beziehungsvoll.at/elternimpulse).

Anmelden könnt ihr euch gerne per Mail an: anmeldung@bildungswerk.at 

Ich freue mich auf euch und eure Fragen!

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Ein Artikel von

Portraitfoto Barbara Grütze

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