Wie Handschrift und Gehirnentwicklung zusammenhängen

Bereits in der Steinzeit haben Menschen über Gemälde oder Zeichen miteinander kommuniziert. Es liegt in der menschlichen Natur Informationen dauerhaft sichtbar zu machen. Doch eine Schrift im eigentlichen Sinne gibt es erst seit zirka 5000 Jahren. Schreiben und lesen, codieren und decodieren. Für uns selbstverständlich, doch angesichts der menschlichen Entwicklung eine Sensation!

Bereits der Ethnologe Jack Goody war 1977 der Meinung, dass die Erfindung der Schrift – die grafische Darstellung der Sprache - eine bisher nicht gekannte Auswirkung auf den menschlichen Geist hat. So untersuchte er die Wirkung der Schrift auf kognitive Prozesse in unserem Gehirn.

Lesen und schreiben können – ein Privileg

Jahrhundertelang war lesen und vor schreiben können ein Privileg. Diejenigen, welche diese Fähigkeit besaßen hatten die Macht. Selbst viele königliche und kaiserliche Herrscher konnten nicht lesen und schreiben, sondern hatten ihre Schriftgelehrten und Berater dafür.

Schulpflicht

Die durch den Staat vorgegebene Schulpflicht – wie wir sie kennen - gibt es erst seit 248 Jahren. Sie geht zurück auf Maria Theresia, die am 6. Dezember 1774 für „Österreich und die unter habsburgischer Herrschaft stehenden Länder“ eine sechsjährige Schulpflicht erließ, um Kinder "beyderley Geschlechts" auszubilden. 1869 wurde das Pflichtschulwesen auf acht Jahre, 1962 auf neun Jahre verlängert.

Schulschrift

Nach der Druckschrift in der ersten Klasse Volksschule konnten Lehrer:innen bis jetzt frei auswählen, ob sie die Schreibschrift aus dem Jahr 1969 oder 1995 unterrichten. Ab dem Schuljahr 2023/24 soll nur mehr die Schulschrift 1995 verwendet werden. Diese entspricht jedoch nicht den aktuellen lern- und entwicklungspsychologischen Erkenntnissen sowie enthält einige schreibunlogische und nicht bewältigbare Buchstabenverbindungen in der Linienführung. Daher wurde die neue Schulschrift „Prima“ entwickelt, welche mit Erfolg bereits in einigen Volksschulen unterrichtet und in der Praxis getestet wird.

Schreibschrift ist Schwerstarbeit

Im Alltag ist uns oft nicht bewusst, wie klein und fein die Bewegungen der Hand beim Schreiben sind. Und wie komplex Schreibschrift ist. Schüler und Schülerinnen der ersten Klasse sind meist überfordert von den vielfältigen Aufgaben, die Handschrift mit sich bringt, so Ingrid Stephanie Müller, vom Media Step Institut.

Sollen sie nun auf der Zeile schreiben, auf die richtigen Wort- oder Buchstabenzwischenräume achten, an die Groß- und Kleinschreibung denken, die Verbindung zwischen den Buchstaben richtig schreiben oder doch an die korrekten Proportionen denken? Auch das richtige Tempo ist wichtig. Durch den Punkt am Satzende entsteht bei der Verbundschrift eine Rhythmisierung. Damit diese fein justierten Bewegungen überhaupt möglich sind, müssen 30 Muskeln von Hand und Arm miteinander koordiniert werden? erläutert Müller in Ihrem Vortrag „Ist Schreibenlernen und -können mit der Hand überbewertet?“, beim 43. Mittelfränkischen Lehrertag 2023.

Handschrift verbessert die Merkfähigkeit

Doch die Mühe zahlt sich aus! Durch die feinmotorische Bewegung der Hand wird die Form des Buchstabens im Gehirn aufgenommen. Neben dem visuellen Bereich wird so auch das motorische Areal im Gehirn aktiviert. „Und wenn wir Buchstaben per Handschrift erlernt haben, erkennen wir beim Sehen der Buchstaben Aktivitäten auch in jenem Bereich des Gehirns, der für Bewegung zuständig ist, obwohl wir gar keine Bewegung durchführen.", erklärt Markus Kiefer, Psychologe und Hirnforscher die Studien der Psychologen Marieke Longcamp und Jean-Luc Velay, von der Universität Marseille.

Die Vernetzung der visuellen und motorischen Bereiche im Gehirn ist der Grund, warum Lernstoff besser im Gedächtnis bleibt, wenn dieser mit der Hand zusammengeschrieben wird. „Wenn ich handschriftlich einem Vortrag oder einer Rede folge, bin ich langsamer und damit gezwungen, zusammenzufassen, umzuformulieren, mir Gedanken zu machen, auf den Inhalt zu achten.“, erläutert Kiefer. [Quelle: Was die Handschrift im Gehirn bewirkt | Nachrichten.at]

Schreiben ist eine Höchstleistung unseres Gehirns

Sowohl der Einsatz der menschlichen Sprache als auch die Fähigkeit lesen und schreiben zu können setzt komplexe und komplizierte Reifungsprozesse im Gehirn voraus.

Doch die gute Nachricht ist, Verbindungen im Gehirn werden ein Leben lang gelöst und neu geknüpft.

Aktive, abwechslungsreiche Erfahrungen im echten, dreidimensionalen Leben fördern diesen Vorgang. So ist es möglich Kinder mit Sprach- und Schreibproblemen jederzeit zu unterstützen und sich auch im späten Alter neues Wissen anzueignen.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Regina Madgalena Smrcka

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